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GROSSER FOTSCHER EXPRESS

Eine Skidurchquerung mit historischem Touch zwischen dem Sellrain und Innsbruck

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Dieser Text ist auch als Artikel im Snow Magazine erschienen.

Die Sonne verschwindet langsam hinter den Sellrainer Bergen. Wirklich kalt ist es nicht an diesem Dienstagabend Ende Februar. Wir genießen den fantastischen Rundumblick über Inntal, Axamer Lizum und das Stubaital. Gegenüber grüßen die ersten Lichter an der Nordkette zu uns herüber. Wir haben alle Aufstiegshöhenmeter geschafft – Sophie, Thomas und ich klatschen noch ein letztes Mal ab, bevor noch etwas mehr als 1400 Höhenmeter Abfahrt nach Mutters bei Innsbruck warten. Die meiste Wegstrecke des „Großen Fotscher Expresses“ liegen hinter uns und wir sind erfüllt mit Freude und Stolz, diese Tour trotz eher schwieriger Bedingungen erfolgreich geschafft zu haben.

Drei Monate zuvor entsteht die Idee, einen längeren Skitourenklassiker in Tirol in einem Zug zu gehen. Sophie und ich kennen uns über das Dynafit „Skimo Hero Programm“ und sind Ende November schon sehr motiviert, in der anstehenden Skitourensaison viele schöne und vor allem lange Touren zu machen. Schnee liegt noch keiner, doch unser Tatendrang sorgt dafür, dass wir schon konkrete Pläne schmieden, um tolle (Speed-)Projekte zu erleben, wenn dann später im Winter die Verhältnisse hoffentlich gut sein würden. Schnell fällt die Wahl auf den „Großen Fotscher Express“, den weder Sophie noch ich bisher begangen haben und wir rechnen uns aus, das in einem Zug gut schaffen zu können. Fotografisch begleitet wird unser Projekt von meinem Freund Thomas, der als Profi-Fotograf schon viele spannende Touren mit mir gemacht hat. Die Voraussetzungen stimmen also – nicht jedoch die Schneelage, welche sich über den Winter 2022 / 2023 hinweg oft als mangelhaft darstellt. Einige Male planen wir um, verschieben, hoffen und versuchen, im Kopf flexibel zu bleiben und auf den richtigen Moment zu warten.

Früher Start in Lüsens im Sellrain(Foto: Thomas Herdieckerhoff)

Als dann zumindest Schnee vorhanden ist, Wetter- und Lawinenlagebericht stimmen, machen wir uns zu dritt auf, um an einem Tag von Lüsens im Sellrain mit Ski bis nach Mutters bei Innsbruck zu kommen. Auf dem Weg warten vier Anstiege mit vier Gipfeln auf uns.

Im Anstieg auf den Roten Kogel, im Hintergrund der Lüsener Fernerkogel(Foto: Thomas Herdieckerhoff)

Der „Große Fotscher Express“ ist die Wiederbelebung eines historischen Skitourenrennens, welches bis 1969 durch den Ski Klub Innsbruck auf der Route Fotscher Skihütte – Schaflegerkogel – Hoadl – Birgitzköpfl – Mutters als „Fotscher Express“ ausgetragen wurde. Ergänzt um einen Gipfel am Anfang und am Ende, wird diese Tour – speziell von Einheimischen – heute gerne als „Großer Fotscher Express“ bezeichnet. Übrigens: die besten Sportler der damaligen Zeit benötigten für die drei Anstiege und Abfahrten nur vier Stunden. Kaum vorstellbar mit damaligem Material.

Punkt fünf Uhr starten wir am Parkplatz in Lüsens unseren Aufstieg in Richtung des ersten Gipfels. Mit dem Roten Kogel (2832 m) wartet zu Beginn gleich der höchste Gipfel auf dem Weg und ein erster Prüfstein wird der westseitige Anstieg, welcher in keinem guten Zustand ist. Zwischenzeitlich legen wir Harscheisen an, um in den steileren Passagen nicht abzurutschen, doch der Schnee ist in den tieferen Lagen nicht ordentlich gefroren und so haben wir etwas Mühe, die Pace hoch zu halten. Landschaftlich ist das Lüsenstal ein Traum für jeden Bergliebhaber und speziell im Winter strahlt es eine besondere Magie aus. Nicht zu Unrecht ist das Sellrain eines der beliebtesten Ziele für Skitourengeher während der Winter- und Frühjahrsmonate.

Für uns bleibt nicht viel Zeit, die Schönheit der Region zu würdigen, zu lang ist die Tour, welche wir uns vorgenommen haben. 3500 Höhenmeter und knapp 40 Kilometer Strecke müssen wir auf Ski bewältigen. Wir erleben eine wunderschöne Blaue Stunde und unsere Stimmung steigt sogleich, als die ersten Sonnenstrahlen die Spitze des Lüsener Fernerkogels erreichen.

Ohne Stirnlampe kurz vor dem Sonnenaufgang – aber auch mit Harscheisen (Foto: Thomas Herdieckerhoff)
Zuletzt schnallen wir die Ski noch schnell an den Rücken, um die letzten Meter zum Gipfel zu bewältigen (Foto: Thomas Herdieckerhoff)
Hart gefroren und gleichzeitig körniger Altschnee unter der Kruste – alles andere als optimale Verhältnisse (Foto: Thomas Herdieckerhoff)
Mit der Sonne im Gesicht ist so ein Tag doch gleich viel schöner! (Foto: Thomas Herdieckerhoff)

Oberhalb von 2500 m ist die Unterlage hart gefroren, doch aufgrund der geringen Schneelage sind wir uns unsicher, ob wir an diesem Tag durchweg auf Ski stehen können würden. Unsere Befürchtung wird dann auch im letzten Anstieg zum Gipfel des Roten Kogels wahr, denn erstmals schnallen wir die Ski schnell auf die Rucksäcke und legen ein paar Meter zu Fuß zurück. Am Gipfel angekommen, ist die Sonne soeben über den Kalkkögeln – den „Dolomiten Nordtirols“ – aufgegangen und wärmt unsere Gesichter. Diese beiden Momente des Tages – Sonnenaufgang und Sonnenuntergang – auf einer Tour auf jeweils einem Berggipfel zu erleben, das wäre mal wieder ein tolles Erlebnis, denke ich mir. Was gibt es Magischeres, als den Beginn eines neuen Tages, wenn aus völliger Dunkelheit in nur wenigen Minuten ein Schauspiel aus Licht und Schatten erwächst?

Abfellen am Gipfel des Roten Kogels (Foto: Thomas Herdieckerhoff)

Zeitlich haben wir uns kein konkretes Ziel gesetzt für diese lange Tour. Natürlich sind wir mit minimalem Gepäck unterwegs, allerdings laden die Schneeverhältnisse, speziell auf der Abfahrt, nicht gerade zu Speed-Rekorden ein. So versuchen wir, sehr zügig voran zu kommen, wissen aber, dass es keine Rekord-Zeit werden würde. „Safety first“ gilt auch hier, denn auf den Abfahrten ist Vorsicht geboten, um keine größeren Steine zu erwischen oder im hart gefrorenen Schnee steckenzubleiben. Stattdessen bietet uns der wolkenlose Himmel zahlreiche Möglichkeiten für wunderschöne Bilder und so muss die Geschwindigkeit am heutigen Tag ein wenig hinten anstehen.

Der Schein trügt – die Abfahrt am frühen Morgen ist nicht unbedingt spaßig (Foto: Thomas Herdieckerhoff)

Auf der ersten Abfahrt vom Roten Kogel bewahrheitet sich dann unser Verdacht. Im Bruchharsch fahren wir unelegant ins Fotschertal hinaus. Eine Abfahrt, die aufgrund der Geländeneigung bei Pulver sicher viel Abfahrtsspaß bereithält. Ein wenig beginne ich, an der Machbarkeit des Projekts zu zweifeln, denn die Abfahrt dauert so nicht nur deutlich länger, sondern ist auch kräftezehrend und verlangt uns skitechnisch so einiges ab. Meine Mitstreiter Sophie und Thomas sind jedoch ebenfalls noch hochmotiviert und so geht es ohne größere Pause sofort weiter.

Unten im Fotschertal angekommen, heißt es dann auf dem Fahrweg in Richtung Furggesalm statt „anfellen“ zunächst „abschnallen“ und wir tragen die Ski ein Stück. Wenig tragisch, so denke ich mir, und nach kurzer Zeit sind die Sportgeräte wieder an den Füßen.

Zu diesem Zeitpunkt sind rund 1200 Höhenmeter im Aufstieg und etwas weniger in der Abfahrt absolviert und wir verpflegen uns kurz, bevor 700 Höhenmeter auf den Schaflegerkogel (2405 m) auf uns warten. Außer ein paar Almen und Forstwegen, ist hier kein Zeichen von Zivilisation im Blickfeld und wir genießen den Aufstieg in vollen Zügen. Noch wärmt die Sonne nur leicht und die Kühle des Morgens nutzen wir, um recht zügig den Gipfel zu erreichen. Kurz vor 11 Uhr klatschen Sophie und ich am Gipfelkreuz ab und freuen uns, dass dieser Anstieg doch recht angenehm war.

Die letzten Meter zum Schaflegerkogel, dem zweiten Gipfel der Tour (Foto: Thomas Herdieckerhoff)
Traumhafte Szenerie mit den Kalkkögeln im Hintergrund (Foto: Thomas Herdieckerhoff)

Die gesamte Dimension der Tour wird vom Gipfel des Schaflegerkogels deutlich. Zurückblickend wirken die Sellrainer Berge schon recht weit entfernt, doch auch der weitere Weg über Hoadl und Nockspitze will noch in zwei weiteren Anstiegen hart verdient sein.

Sophie und ich am Gipfel des Schaflegerkogels (Foto: Thomas Herdieckerhoff)

Wieder ziehen wir die Felle ab und verstauen diese in unseren Jackentaschen, damit sie auch später beim vierten Anstieg noch gut kleben. Auf der Abfahrt versuchen wir dann, in jetzt besserem Schnee, einige schöne Sequenzen zu fotografieren. Wir sind froh, dass wir mit 88 mm Mittelbreite die richtigen Ski für diesen Tag gewählt haben – mit schmalen Rennski wäre es doch recht mühsam geworden. Die Abfahrt zur Kemater Alm ist deutlich besser als jene ins Fotschertal und so erreichen wir gut gelaunt zur Mittagszeit die urige Alm mit Blick auf die Kalkkögel.

Die Abfahrt vom Schaflegerkogel ist schon etwas besser als die erste Abfahrt vom Roten Kogel (Foto: Thomas Herdieckerhoff)

Wir genehmigen uns eine kleine Pause und füllen die Flüssigkeitsspeicher mit kühlen Getränken und einer Suppe auf. Die Sonne heizt den Talkessel stark auf und wir wissen, dass es jetzt recht anstrengend werden würde. Kurz vor 13 Uhr stehen wir wieder auf Ski und steigen in Richtung Hoadl (2340 m) auf. Die südwestseitige Exposition im doch recht steilen Hang zum Hoadlsattel sorgt dafür, dass wir uns durchaus kurze Hosen wünschen. „Zähne zusammenbeißen“ denke ich mir, denn mit jedem Höhenmeter wird die Luft kühler. In unzähligen Spitzkehren folge ich Sophie hinauf zum Hoadlsattel.

Aufstieg von der Kemater Alm in Richtung Hoadlsattel (Foto: Thomas Herdieckerhoff)

Wir befinden uns jetzt im belebten Skigebiet im Innsbrucker Naherholungsgebiet Axamer Lizum und fühlen uns neun Stunden nach dem Start zwar noch frisch, aber durchaus auch etwas deplatziert. Neugierige Blicke auf unsere Ausrüstung nehmen wir zur Kenntnis, als wir uns zwischen den Pistenfahrern am „Gipfel“ des Hoadl schnell für das obligatorische Gipfelfoto Nummer drei aufstellen. 2500 Höhenmeter durften unsere Beine schon laufen und die folgende Abfahrt auf der „Herrenabfahrt“ ist dann eine wahre Erholungspause, denn zur Abwechslung ist uns die Schneesituation egal und wir schwingen auf der Piste hinunter zum Parkplatz.

Das Team des Tages am belebten Gipfel des Hoadls (Foto: Thomas Herdieckerhoff)

„Schnell raus aus dem Trubel“ lautet das Motto und wenige Minuten später starten wir den Anstieg zur Birgitzköpflhütte. Diese liegt in einem nicht genutzten Teil des Skigebiets und trotz westseitiger Exposition und viel Nachmittagssonne sind die Temperaturen erträglich. Oben angekommen, zeigt die Uhr bereits knapp über 3000 Höhenmeter Anstieg an und wir trinken nochmal einen Schluck, bevor es die letzten Höhenmeter durch die „Mairrinne“ hinauf auf die Nockspitze – auch Saile genannt – geht. Diese Rinne ist bei Neuschnee vorsichtig zu beurteilen – es gäbe auch eine Alternativroute durch die Lawinenverbauungen – einmal um den Berg herum, welche etwas flacher ist.

In der Mairrinne am Anstieg zur Saile (Foto: Thomas Herdieckerhoff)
Geniale Abendstimmung an einem Tag wie aus dem Bilderbuch (Foto: Sophie Wiernsberger)
Die letzten der über 3.500 Höhenmeter an diesem Tag hinauf auf die Saile (Foto: Thomas Herdieckerhoff)

Wir finden eine sehr feste Schneedecke vor und steigen in einer guten Spur in Spitzkehren hinauf bis auf ein Plateau unter dem Gipfel. Wir haben uns ein wenig Zeit gelassen, um den Sonnenuntergang auf dem Gipfel erleben zu können. Kurz nach 17 Uhr schnallen wir auf dem geräumigen Gipfel der Nockspitze die Ski ab und genießen die magischen Momente der Goldenen Stunde. Die Zeit auf der Uhr ist jetzt zweitrangig, lieber verbringen wir noch ein paar wunderschöne Momente am Gipfel und sind überwältigt von der friedlichen Abendstimmung mit Panorama in alle Richtungen.

Rückblick auf die heutige Route in wunderbarer Szenerie (Foto: Thomas Herdieckerhoff)
Dynafit Skimo Heros 2022 / 2023! (Foto: Thomas Herdieckerhoff)
4 Gipfel, über 3.500 Höhenmeter und am Ende über 40 Kilometer auf Ski (Foto: Thomas Herdieckerhoff)

Nach dem Sonnenuntergang fahren wir die letzte Abfahrt in Richtung der Lichter von Innsbruck ab, zunächst an der Birgitzköpflhütte vorbei und durch die Götzner Grube hinüber zur Muttereralm-Bahn. Im Skigebiet angekommen, knipsen wir noch die Stirnlampen an, um auch für etwaige Pistengeräte sichtbar zu sein – wir schaffen es aber vor der Präparierung ins Tal.

Abschluss an der Talstation in Mutters – geschafft!

Die letzte Abfahrt genießen wir wahrlich in vollen Zügen. Wir sind sicher, es geschafft zu haben und freuen uns über einen wirklich vollumfänglich ausgenutzten, schönen und kameradschaftlichen Bergtag. Mit Einbruch der Dunkelheit schwingen wir mit einem breiten Grinsen im Gesicht in Mutters ab und vollenden damit diese wunderschöne eintägige Skidurchquerung zwischen dem Sellrain und Mutters bei Innsbruck.

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