Schöne Gratüberschreitung über den Westgrat der Guffertspitze.
Da Jana und ich ein paar Termine im Zillertal wahrnehmen müssen, machen wir uns am Fronleichnams-Wochenende auf den Weg in Richtung Tirol. Ich bin schon etwas früher gefahren und trainiere um den Kochelsee herum noch ein bisschen für den Stubai Ultra Trail. Nachdem ich Jana in Bad Tölz aufgesammelt habe, machen wir uns auf den Weg, legen jedoch am nächsten Morgen noch einen Stopp im Rofan ein, denn der Ausflug soll ja trotzdem mit einer Bergfahrt verbunden werden.
Unser Plan ist der Westgrat an der Guffertspitze, auch einfach Guffert genannt, eine zwar klettertechnisch leichte, aber doch eher längere Tour, denn allein der Zustieg ist recht lang. Wir starten um kurz nach halb 8 am Parkplatz in Steinberg am Rofan und steigen zügig in den kühlen Morgenstunden dem Bergmassiv zu. Dieser Tag würde der heißeste Tag des Jahres (bis zu diesem Zeitpunkt) sein und bereits morgens ist der Durst groß. Glücklicherweise passieren wir noch einen Bach, sodass ich mich für den Moment „sitt“ trinken kann. Ziemlich exakt 700 hm sind zurückzulegen auf dem normalen Anstiegsweg zum Guffert. Wir kommen gut voran und nach 1:20 h erreichen wir einen markanten Steinmann, an dem der sogenannte „Latschensteig“ nach links abzweigt.
In der Routenbeschreibung heißt es „sollten die Latschen schlecht ausgeschnitten sein, dann sehr mühsam“. An dieser Stelle sei erwähnt, dass durch die modernen Hilfsmittel das Bergsteigen in den letzten Jahren weitaus berechenbarer und damit natürlich in gewisser Weise auch sicherer geworden ist. Webcams und Wetterstationen lassen keinen Zweifel über Temperatur und Niederschlag. Lawinen-Bulletins und Warndienste erstellen ein umfangreiches und präzises Lagebild im Winter. Social Media und Tourenportale helfen bei der Vorbereitung und oft findet man viele Fotos mit aktuellen Verhältnissen der Tour. Doch wo informiert man sich, darüber, ob irgendeine gute Seele des Tals mit der Heckenschere oder der Kettensäge sich die Mühe gemacht hat, den Zustiegsweg zum Guffert-Westgrat freizulegen? Es gibt sie also noch: die großen Abenteuer im Unbekannten! Und das nicht in abgelegenen Tälern der Westalpen, sondern 90 Autominuten südlich von München!
So ähnlich sind meine Gedanken, als wir in den Latschensteig einsteigen. Präziser formuliert müsste man sagen: hineinkriechen. Hier zeigen sich dann doch die Nachteile großer Menschen, denn mit knapp zwei Metern muss ich doch viel auf allen Vieren krabbeln, um den richtigen Weg zu finden. Wir arbeiten uns über zwei Stunden durch unwegsames Terrain und entwickeln ganz neue Fortbewegungstechniken. Nachdem wir bereits überall blutige Kratzer auf der Haut haben (denn Latschen können durchaus sehr borstig sein) und das Harz uns an den Händen herunterläuft, kommt eine kurze Verschnaufpause, wo wir in einer Schuttreise kurz aufsteigen in Richtung Südwand. Wie froh wir um einen schwach ausgeprägten Steig im Schuttkegel doch jetzt sind!
Doch die Freude ist von kurzer Dauer, denn sogleich geht es wieder in den Urwald und das Kriechen und Wühlen beginnt von neuem. Als wir es dann endlich geschafft haben, sind wir sehr froh, dass wir im Schatten unter dem Fels ein kleines Päuschen machen können. Ab hier wird es spaßig! Wir legen trotz des überschaubaren Schwierigkeitsgrads die Kletterschuhe an, da wir mit Trailrunnern zugestiegen sind. Die ersten Meter im Bereich des Grats sind einladendes Ier und IIer Gelände. Das Seil bleibt gleich am Mann, denn die Ausgesetztheit ist hier noch nicht so groß. Die angegebenen 530 hm Kletterei sind durchaus viel und wir hoffen, dass wir durch zügiges und paralleles Steigen die angegebenen drei Stunden ein wenig unterbieten können.
Die erste IIIer-Stelle überklettern wir am laufenden Seil, hier lässt es sich am Grat wunderschön mit Felszacken sichern. Das folgende Gehgelände leitet uns direkt an einen Bohrhakenstand, an dem eine Variante mit zwei Seillängen abzeigt, die „Sportklettervariante“. Da wir Fast & Light sein möchten, sparen wir uns diese Variante, denn bei VI- hätten wir durchaus von Standplatz zu Standplatz sichern müssen. Stattdessen queren wir nach links (III-) und klettern in der Folge sehr aussichtsreich über Latschen (was sonst) eine steile Platte hinauf in Richtung eines kleinen Couloirs. Im leichten Ier-Gelände erreichen wir wieder den Grat.
Am Grat entlang entpuppt sich der Fels als überraschend fest und wenig abgegriffen und so macht die Kraxelei im leichten Gelände richtig Spaß. Wir kommen schnell höher und müssten schon aufs Topo schauen, um die nächste IIIer-Stelle nicht zu übersehen. Generell ist die Tour äußerst gutmütig und so sichern wir nur eine kurze, ausgesetzte Stelle über einen Aufschwung, der etwas exponiert über dem Abgrund ist (II+). Die Routenführung ist logisch und meist leicht zu finden. Bohrhaken gibt es auf der gesamten Route kaum, lediglich an absturzgefährdeten Stellen findet man einen Haken.
Das Gehgelände zwischen den Kletterstellen wäre sicherlich in Bergschuhen angenehmer zu gehen, aber wir haben keine Eile und so treten wir vorsichtig mit den Kletterschuhen im feinen Geröll, um nicht auszurutschen. Zuletzt geht es nochmal spaßig hinauf den Guffert-Westgipfel (2140 m), wo ein eigenes kleines Kreuz und ein Gipfelbuch wartet. Wir stellen fest, dass vor uns schon eine Partie durchgeklettert ist. Weit und breit ist aber für uns keine Menschenseele zu sehen und wir genießen ein paar Momente die Stille und die Abgeschiedenheit. Vom Westgipfel geht es zunächst steil durch Schrofen / Steilgras, teilweise etwas ausgesetzt auf ein Grasband hinunter, welchem wir dann hoch über der Südwand in Richtung Osten folgen. Unschwierig gehen wir hinüber bis zu einer abschüssigen und plattigen Stelle, welche große Absturzgefahr bereithält. Passend dazu finden wir einen Bohrhaken und ein letztes Mal kommt das Seil zum Einsatz, als wir uns kurz gegenseitig hinüber sichern.
Folgend gehen wir mal inkl. Hände, mal ohne auf dem Grat weiter in Richtung des Gipfelaufbau des Guffert-Ostgipfels. Wir kraxeln höher (hier weicht man in die Südflanke aus, nicht am Grat klettern) und stellen fest, dass wir schon kurz unter dem Gipfel sein müssen. Bevor das Gelände schwierig und brüchig wird, wenden wir uns nach links und klettern in Richtung einiger Zacken und Türme zurück in Richtung Grat.
Der letzte Aufschwung ist ein steiler Kamin, der aber gut zu erklettern ist (II, ausgesetzt). Wir trauen uns beide die Passage ungesichert zu und nach vorsichtigem Übergreifen der Oberkante (Vorsicht: extrem brüchig) ziehen wir uns in das lose Schuttgelände hoch, welches wir mit zwei schnellen Schritten in Richtung Gipfel verlassen. Im Gehgelände sind es noch rund zwanzig Schritte bis zum Gipfelkreuz. Wir werden bereits von zahlreichen Wanderern erwartet, die etwas überrascht sind, plötzlich Menschen über die Kante klettern zu sehen. Wir freuen uns, denn diese Tour lief (klettertechnisch – nicht latschentechnisch) wie geschmiert und war ein schönes Training für schwerere Grattouren. Die angegebenen drei Stunden haben wir auch deutlich unterboten – jedoch haben wir auch sehr wenig gesichert.
Nach einer langen Gipfelpause mit netten Gesprächen und einigen Fotos machen wir uns dann ohne die Kletterausrüstung auf den Abstieg. Dieser ist zwar mit 1200 hm nicht ausgesprochen lang, jedoch ist die Hitze auf der Südseite speziell an diesem Tag enorm. Wir sind überrascht, wie zügig wir doch am Morgen zugestiegen sind, denn die Mittagshitze haut uns mit jedem Höhenmeter, den wir tiefer kommen noch ein klein bisschen mehr um. Die Latschenwälder tun dazu ihr Übriges, die Hitze gut zu konservieren. In zügigem Schritt steigen wir ab und freuen uns schon auf die verdiente Stärkung und die kühlen Getränke an der Jausenstation. Nach der anstrengenden Tour in großer Sommerhitze freuen wir uns dann über genau dieses und setzen uns für ein paar Minuten nieder, um bei Spaghetti und Holunderschorle die Speicher wieder aufzufüllen.
Facts zur Tour
Fazit
Der Westgrat am Guffert ist eine schöne Gratklettertour, welche nie besonders schwierig ist. Ab und zu gibt es einen Zug, der doch etwas ausgesetzter ist, aber im Großen und Ganzen ist die Tour eher gutmütig. Auf ein Seil sollte trotzdem auf keinen Fall verzichtet werden, denn spätestens den plattigen Quergang am Übergang vom Grasband zum Ostgipfel sollte man absichern. Bei schlechtem Wetter ist die Tour nicht zu empfehlen, da kein Ausstieg unterwegs möglich ist. Der Zustieg ist sehr mühsam, denn der Grad der Verwilderung kann nicht im Vorfeld recherchiert werden.