Alpinklettertour im südwestlichen Karwendelgebirge zwischen Riss-, Inn und Achental.
Das Karwendel. Eine der wildesten Gegenden der Nördlichen Kalkalpen. Zwischen Mittenwald und Achensee erheben sich mehr als 100 Gipfel über 2000 Meter über dem Meer und die Zustiege sind in aller Regel lang und wasserarm. Da Jana und ich uns an einem sonnigen Wochenende Ende Juni auf der Durchreise befinden, lockt uns die Gegend rund um den Achensee, um auf dem Heimweg noch eine Klettertour zu unternehmen. Wir lenken unseren Campingbus auf den Parkplatz der Gramaialm, wo wir freundlicherweise nach Absprache eine Nacht schlafen dürfen.
Kurz vor 9 Uhr starten wir am folgenden Morgen in Richtung Lamsenjochhütte. Der Zustieg folgt zunächst dem Tal entlang durch schöne Lärchenwälder auf breiten Wegen immer dem Talschluss zu. Dort schwingt das Gelände dann hin zum Lamsenjoch mit der dazugehörigen Hütte auf. Nach ca. 1:30h Aufstieg erreichen wir die schöne Hütte mit einer einladenden Terrasse. Eine kurzen Pause mit einem Skiwasser später steigen wir die restlichen 200 Höhenmeter bis zum Einstieg der Nordostkante auf und machen uns bereit, um die 13 Seillängen zu klettern.
Am Einstieg wartet gleich die erste Schlüsselstelle (IV+ UIAA), wo man über eine glatte Platte auf den ersten Absatz hinauf muss. Diese ersten Meter wären normalerweise unkritisch, da man sich noch in Absprunghöhe befindet. Allerdings geht es rechts ziemlich steil in die Nordseite hinunter – da möchte man nicht hinunter fallen. Wir überwinden die erste Schlüsselstelle, ich lege einen Friend und gesichert an einigen wenigen Bohrhaken (selten mehr als zwei pro Seillänge) geht es die restlichen Meter hinauf zum ersten Stand. Generell sind die ersten drei Seillängen recht lang (40-45m), aber meistens unschwierig im IIer-Gelände. Wichtig ist es, speziell hier im einfacheren Gelände keine Steine loszutreten, da man meist in Falllinie klettert. Auch wir bemühen uns darum und das ein oder andere Mal fluche ich, wenn mir doch ein Brocken im doch recht losen Gestein ausbricht. Da hinter uns eine weitere Seilschaft klettert, gefährde ich potenziell gleich drei Personen. Große Vorsicht ist gefordert und ich steige wie auf rohen Eiern in den leichten Passagen. Die schwereren Passagen sind ohnehin etwas fester. Trotzdem prüfe ich jeden Griff, ob er nachgibt – leider ist dies auch manchmal der Fall, somit ist höchste Vorsicht geboten.
Nach wechselnden IIer- und IIIer-Stellen folgt die fünfte Seillänge einem Pfeiler nach oben; hier muss man im IV. Grad sicher klettern. Da insgesamt die Zwischensicherungen in Form von Bohrhaken recht spärlich gesät sind, sind wir froh um mobile Absicherungsmittel und der ein oder andere Friend findet seinen Weg an den Felsen. Rostigen, alten Schlaghaken möchte ich dann unser Leben doch nicht dauerhaft anvertrauen. Immerhin die Stände sind gebohrt, wer eine Hintersicherung wünscht, der muss diese aber in aller Regel mobil dazu sichern (nicht immer sinnvoll möglich).
Die mittleren Seillängen machen dann richtig Spaß. Nicht zu schwierige Kletterei (max. IV) und zwischenzeitlich ein bisschen festerer Fels kombiniert mit spektakulären Tiefblicken runden das tolle Erlebnis ab.
Nach der achten Seillänge geht es dann auf den Verbindungsgrat zum letzten Aufbau des Vorgipfels. Dieser Grat ist zwar schwer abzusichern, dafür aber klettertechnisch eher leicht zu bewältigen (II). Als wir auf den folgenden drei Seillängen weiter nach oben steigen, seilt überraschenderweise eine Seilschaft von oben „in uns hinein“. Ich weise sie darauf hin, dass auf dieser Route Abseilen eine eher ungeschickte Idee ist, da der Fels sehr brüchig ist und ein zu-Fuß-Abstieg vom Gipfel der Lamsenspitze existiert. Wie sich herausstellt, haben sie die Beschreibung nicht sauber gelesen und die Bergschuhe am Wandfuß stehen gelassen. Ein paar fliegende Felsbrocken später haben wir überholt und stehen am Ende der elften Seillänge. Die zwei Kollegen werden wohl bis zum Abend mit Abseilen beschäftigt sein, denn die Stände sind von oben her schwer zu finden. Die letzte Seillänge teilen wir auf zwei Teile auf, da wir mit 50m-Doppelseil klettern und diese Seillänge ein 60m-Seil erfordern würde. An einem Kamin unterhalb des Vorgipfels lässt sich bequem Stand machen und anschließend sichere ich Jana auf der 13. Seillänge hinauf zum Vorgipfel.
Am dortigen Gipfelkreuz angekommen, nehmen wir die Seile auf und verstauen sie am Rucksack. Vorerst noch mit Sitzgurt und Kletterschuhen gehen wir ein paar Meter abwärts zu einer Scharte. Von dort geht es nochmal in leichten Kletterzügen (max. II) bis auf den Hauptgipfel. Wir genießen eine wunderschöne Abendstimmung. Wenn wir nicht am nächsten Tag arbeiten müssten, dann würden wir sicher länger hier verweilen und die grandiosen Tiefblicke in die umliegenden Karwendeltäler mit einem tollen Bergpanorama ringsherum genießen. Im Westen erblicken wir Östliche Karwendelspitze, Birkkarspitze und haben tolle Fernsicht bis in den Wetterstein. Nach Süden dominiert der Große Bettelwurf und weiter hinten öffnet sich der Blick in die Tuxer und die Zillertaler Alpen.
Nach kurzer Pause am Gipfel machen wir uns auf den Abstieg. Dieser führt unschwierig über einen drahtseilversicherten Steig auf der Rückseite hinunter nach Süden. Über die Lamsscharte geht es anschließend zurück hinunter zur Lamsenjochhütte. Ohne weitere Pause steigen wir in den Abendstunden hinunter ins Gramaital und ziehen zügigen Schrittes hinaus zu unserem Bus. Vom Gipfel braucht es dann doch noch einmal fast drei Stunden bis zur Gramaialm. Die Nudeln warten schon darauf, gekocht zu werden und so fahren wir schnell hinaus zum Achensee und gönnen uns dort noch eine abschließende Stärkung in Form von Pasta mit Blick auf den „Fjord der Alpen“. Glücklich und geschafft lenken wir unseren Bus nach Hause.
Facts zur Tour
Fazit
Die Lamsenspitzen-Nordostkante ist eine schöne, hochalpine Kletterei. Wer im oberen vierten Grad ohne allzuviel Absicherung in Form von Bohrhaken klettern kann, der wird viel Spaß haben. Zu beachten ist der weite Zustieg vom Tal – eine Übernachtung auf der Lamsenjochhütte ist sicher zu empfehlen. Bei unsicherem Wetter sollte man die Tour nicht begehen, denn es gibt auf der gesamten Länge keine Ausstiegsmöglichkeit. 13 Seillängen erfordern viel klettertechnische Ausdauer. In den leichten Seillängen sollte man sehr vorsichtig sein, um keine Steine loszutreten. Abseilen ist nicht zu empfehlen, auf jeden Fall Bergschuhe oder Trailrunner für den Abstieg einpacken und den Normalweg hinunter gehen. Auch ohne Abseiler ist das Doppelseil aufgrund der erhöhten Steinschlaggefahr empfehlenswert. Eine rundum Karwendel-typische, spaßige Klettertour!