Kombinierte Skihochtour mit Kletterfinale auf den höchsten Gipfel der Berner Alpen.
Nach dem Hinter Fiescherhorn ist für Jana und mich unser zweites Gipfelziel in den Berner Alpen das Finsteraarhorn. Nach der zweiten Nacht auf der Finsteraarhornhütte sollte die Akklimatisierung eigentlich besser sein als noch am Tag zuvor. Leider verbringe ich eine sehr unschöne Nacht und leide stark unter Atemnot und Kopfschmerzen. Die typischen Symptome von Höhenkrankheit lassen mich ab 1 Uhr in der Nacht kaum mehr schlafen. Tagwache wäre eigentlich um 4:45 Uhr geplant gewesen, daraus wird allerdings in diesem Zustand nichts und so reicht mir Jana dankenswerterweise ein paar Tabletten aus unserem Fundus, die mir dann ein Nachzügler-Frühstück erlauben. Nach einer Cola und ein paar Bissen Brot geht es mir doch so akzeptabel, dass wir einen Versuch wagen. 7:00 Uhr haben wir als spätest möglichen Aufbruchzeitpunkt definiert und mein Kreislauf schafft genau diesen Moment, um senkrecht in Skitourenstiefeln vor der Hütte zu stehen. Dass der Corona-Test dann fünf Tage später auch positiv sein würde, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Folglich gehe ich auf den ersten 600 hm bis zum „Frühstücksplatz“ ganz langsam über den Gletscher. Jana folgt mit etwas Abstand und wir beide hängen unseren Gedanken nach, denn heute ist alles ein bisschen anders. Trotz meines schwachen körperlichen Zustands erreichen wir den Frühstücksplatz, an dem man ein paar Meter die Ski durchs Geröll tragen muss, in nicht einmal 1:30 h.
Wir pausieren kurz an dieser aussichtsreichen Stelle und schnallen dann die Ski auf dem stark zerklüfteten Hängegletscher, der zum Hugisattel hinaufzieht, wieder an. Der Sattel erscheint sehr nah, doch müssen wir uns zunächst durch einige spaltigen Zonen und später über den gefrorenen Harschdeckel nach oben kämpfen. Von Pulverschnee ist hier nichts mehr zu sehen – die Sonne vom Tag zuvor und die kalte Nacht haben ganze Arbeit geleistet. Die ersten Partien fahren bereits an uns vorbei – die müssen die ganz frühe Aufbruchszeit gewählt haben. An diesem Tag packt mich keinerlei Ehrgeiz im Tempo-machen am Berg, denn ich bin ausschließlich mit mir selbst beschäftigt und hoffe, dass ich den übernächsten Schritt nach dem nächsten auch noch machen kann. Hinaufkommen ist das Ziel, die Zeit wird mir heute egal sein.
Warum quält man sich in so einem Zustand einen Berg hinauf? Diese Frage habe ich mir nach der Tour häufig gestellt, doch finde ich auch im Wissen um den weiteren Verlauf der Dinge die damalige Entscheidung nach wie vor richtig. Das Finsteraarhorn ist so abgelegen und die Gelegenheit, bei sicheren Verhältnissen und Sonnenschein einen Gipfelversuch machen zu können, die muss man nutzen. Da hilft kein Jammern und kein Meckern, der Mensch muss den Berg hinauf. Jana langweilt sich so langsam, ob meines immer langsameren Tempos, doch nach dreieinhalb Stunden inkl. Pausen ab der Hütte erreichen wir den Hugisattel. Trotz allem Willen gleichen wir ständig Zeitplan und körperliche Verfassung ab, denn ein ganz großes Risiko wollen wir auch nicht eingehen.
Hier deponieren wir Ski und Stöcke und wechseln auf Steigeisen und Pickel. Die folgende Kletterei ist nie wirklich schwer, jedoch phasenweise stark verhältnisabhängig und auf beiden Seiten ausgesetzt, auf der Nordost-Seite des Bergs sogar extrem exponiert, denn hier geht es über 1000 m senkrecht hinunter.
Wir klettern weitgehend seilfrei, denn die meiste Zeit ist das Gelände schwer abzusichern und das Seil würde sich ohnehin stark verfangen. Wir fühlen uns recht sicher in diesem Terrain und gönnen uns so das schnellere Vorwärtskommen. Lediglich die exponierten Gratstücke gehen wir am laufenden Seil und lassen dieses immer wieder um Felszacken herum laufen. So kommen wir recht zügig voran, auch wenn mein Fortbewegungsstil wohl eher dem einer 8000er-Besteigung ähnelt: 10 Schritte kraxeln, schnaufen, schnaufen und weiter. Ohne größere Schwierigkeiten arbeiten wir uns den recht exakt 200 hm hohen Gipfelaufbau auf dem Grat nach oben und stellen fest, dass der Gipfel nur sehr langsam näher kommt. Klettern auf über 4000 m Höhe ist doch jedes Mal etwas sehr Spezielles.
Die Verhältnisse sind aus unserer Sicht recht gut und nach 4:30 h reiner Gehzeit ohne Pausen erreichen wir den Gipfel. Das ist exakt die Führerzeit (der SAC gibt 4:30 h – 5:00 h an) und in körperlich schwachem Zustand diesen Gipfel bestiegen zu haben, macht mich sehr stolz. Mindestens genauso stolz bin ich auf Jana, denn sie ist an diesem Tag viel vorgestiegen und hat die ganze Tour immer motivierend auf mich eingewirkt, sodass ich immer daran geglaubt habe, dass wir den Gipfel erreichen.
Wir genießen das unfassbare Panorama an einem der entlegensten Orte der Schweiz und sicher der Alpen insgesamt. Alle markanten Gipfel im Wallis stechen nach oben und im Westen reicht der Blick bis zum Mont Blanc. Ich sitze gemütlich am Gipfel und atme durch – so gut das auf knapp 4300m eben geht.
Bekanntermaßen muss ein solcher Berg ja auch wieder abgestiegen werden und so klettern wir den langen Grat zurück in den Hugisattel. Wenn man kurz vor dem Sattel den letzten Turm auf der Westseite umgeht, dann erspart man sich eine exponierte IIIer-Stelle im Abklettern oder Abseilen – links in der Flanke kann man in der Regel sehr bequem im kombinierten Fels-/Eisgelände traversieren. Diese Variante hatten wir bereits im Aufstieg genutzt und sind auch jetzt froh, dass wir es etwas bequemer nehmen dürfen. Im Sommer könnte das evtl. durch fehlenden Schnee heikel sein.
Zurück an den Ski, möchten wir so schnell wie möglich wieder an Höhe verlieren, um die körperliche Erholung zu fördern. Auf knapp 4100 m die Ski anzuschnallen, ist schon ein spezielles Gefühl, denn auf dem aufgefirnten Gletscher ist die Schneequalität um die Mittagszeit zwar gut, aber die Schwünge fallen trotzdem schwer. Nichtsdestotrotz bin ich froh, dass wir diesen Gipfel nicht im Sommer in Angriff genommen haben, denn so eine Abfahrt ist natürlich einem Abstieg zu Fuß immer vorzuziehen.
Nach ein paar schönen Schwüngen, gilt es bei der Einfahrt in das steilste Stück am Gletscher, extrem vorsichtig zu sein. Unsichere Skifahrer sollten hier nur seitlich abrutschen, denn ein Sturz bedeutet den sicheren Absturz über die Gletscherbrüche. Wir navigieren durch die Spalten und erreichen einen geeigneten Punkt am Frühstücksplatz, um die Ski abzuschnallen. Ich habe im Aufstieg eine steile Rinne am Frühstücksplatz ausgemacht, die geradezu auf den südlichen Gletscherarm führt und möchte mir so die paar Meter zu Fuß sparen. Jana ist von der Idee wenig überzeugt und trägt ihre Ski lieber ein paar Meter durch das weglose Terrain im Geröll. Die Rinne entpuppt sich als doch sehr steil und mit ein paar kontrollierten seitlichen Rutschern komme ich doch noch in fahrbares Gelände und kann zwei Schwünge mehr machen als Jana. Wirklich gelohnt hat es nicht – das wüsste ich dann jetzt auch.
Fortan fahren wir den weniger spaltigen Teil des Gletschers hinunter, jedoch immer bedacht darauf, die tückischen Felszacken, die immer wieder aufgrund der niedrigen Schneelage herausragen, gut zu umfahren. Zuletzt fahren wir in den Hang oberhalb der Finsteraarhornhütte ein, in dem schon massig Munition für eine potentielle Nassschnee-/Gerölllawine bereit liegt. Um die unter uns zur Hütte ansteigenden Tourengänger nicht zur Zielscheibe unserer Geschosse zu machen, schwingen wir ganz vorsichtig. Der Schnee ist extrem schwer und der späte Aufbruch zeigt spätestens jetzt die Konsequenzen auf.
Normalerweise wäre die Tour an dieser Stelle beendet, hätten wir nicht aufgrund unserer Planänderung wegen des Wetters vor der Tour alles nach hinten geschoben. Leider ist die Finsteraarhornhütte voll und wir müssen uns nach dieser langen Tour noch zur Konkordiahütte durchkämpfen. So gibt es eine kurze Pause im Schatten des Skiraums in der Finsteraarhornhütte, um der stark brennenden April-Sonne für einen Moment zu entfliehen. Einen Liter Cola und ein paar Schlucke Wasser später, stehen wir wieder draußen und fahren auf den Walliser Fiescherfirn ab. Jetzt beginnt der anstrengende Weg auf die Grünhornlücke, die zwar nah wirkt, jedoch durchaus rund eine Stunde Aufstiegsarbeit von uns fordert. Dort oben haben wir die Aufstiegs-Höhenmeter des Tages auf Ski hinter uns und fellen abermals ab.
Kurz telefonieren wir mit der Konkordiahütte (denn hier oben hat man zur Abwechslung mal Empfang) und kündigen unsere Ankunft für etwas später als erwartet an. Wir fahren den Grüneggfirn hinab und haben so gar keine großartige Lust mehr, im schweren Schnee schöne Turns zu ziehen. Die angenehme Hangneigung und der Fahrtwind kühlen uns ein wenig und so sind wir nach dem Skidepot am Konkordiaplatz bereit für die 444 Treppenstufen hinauf zur Konkordiahütte. Dass dies durch den Gletscherrückgang inzwischen knapp 200 hm sind, das verrät man einem erschöpften Alpinisten besser erst, wenn dieser an der Hütte angekommen ist.
Wir erreichen am Abend die Konkordiahütte nach über 1800 hm Anstieg an diesem Tag und knapp 12 h in Skitourenstiefeln und werden vom super freundlichen Hüttenteam empfangen. Die Hütte ist rappelvoll und wir bekommen sogar kurz nach dem offiziellen Abendessen noch ein Essen gekocht und genießen in freundlicher Gesellschaft am Tisch die Spaghetti Bolognese. Ein Plätzchen in einem Lager ist auch noch frei und so fallen wir erschöpft ins Bett.
Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass wir am nächsten Tag dann wie geplant ins Wallis abgefahren sind. Der unendlich lange Weg (10 km) auf die Lötschenlücke im Anstieg war bereits anstrengend und heiß und auch die Fahrt ins Lötschental verlangte nochmals vollen Einsatz, denn der Schnee war bereits recht tief. Die seit zwei Tagen deutlich gestiegenen Temperaturen sorgten immerhin dafür, dass wir den späten Nachmittag mit kühlen Getränken und in Badekleidung bei knapp 30° C vor dem Campingbus in Visp verbringen durften. Welch schöne Kontraste im Frühjahr!
Facts zur Tour
Fazit
Das Finsteraarhorn ist eine landschaftlich extrem reizvolle und im Hinblick auf die objektiven Gefahren recht sichere Skitour. Lawinentechnisch muss vorsichtig beurteilt werden, denn gerade nach dem Frühstücksplatz sind einige Hänge gut über 30° steil. Die Spalten an den Gletschern können recht gut umgangen werden und auch die Kletterei am Grat ist zwar lang und anstrengend, aber nie zu sehr ausgesetzt. An den exponierten Stellen kann man mit guter Seilführung an schönen Zacken sichern. Von der Finsteraarhornhütte geht es ohne Umschweife direkt hinauf und so ist die Zeitangabe von 5:00 h Gehzeit durchaus realistisch. Bei guter Schneelage weisen die Hänge eine tolle Neigung auf und sind skitechnisch ein Genuss.