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HINTER FIESCHERHORN (4025m)

Hochalpine Skihochtour auf einen aussichtsreichen Berner Gipfel im Aletschgebiet.

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Für Jana und mich steht der Osterurlaub in den Westalpen zunächst unter keinem guten Stern. Nach einem sehr trockenen März mit nahezu durchgängig Hochdruckwetter und wettertechnisch guten Tourenbedingungen startet der April wechselhaft und so schneit es in der ersten Aprilwoche in fast allen Teilen der Westalpen bis zu 100 cm in kurzer Zeit. Folgerichtig steigt die Lawinengefahr an und beträgt teilweise sogar die für Frühjahr eher seltene Warnstufe 4 („groß“). Den ursprünglichen Zeit- und Tourenplan mit Start auf der Mönchsjochhütte und dem gleichnamigen Berg verwerfen wir kurz vor Abfahrt in Richtung Grindelwald wieder. Statt einer After-Work-Anreise lenken wir den Bus ganz gemütlich an einem Freitag in Richtung Wallis, denn statt Grindelwald fahren wir jetzt direkt auf den Camping in Visp im Rhonetal. Das schlechte Wetter sitzen wir dort erfolgreich aus und vergnügen uns mit Kaffeetrinken und einer Wanderung zur St. Jodern Kellerei im höchsten Weinberg Europas.

Auffahrt nach Grindelwald mit Neuschnee bis ins Tal

Nachdem der Wetterbericht gutes Wetter prognostiziert und auch die Lawinengefahr absinkt, machen wir uns, zwei Tage später als geplant, auf den Weg ins Berner Oberland. Durch den Lötschberg-Basistunnel geht es per Zug von Visp nach Grindelwald und von dort zunächst mit dem neuen Eiger Express vorbei an der Eiger Nordwand zur Station Eigergletscher. Dort wechseln wir in die Jungfraubahn, welche ich bereits kenne und fahren durch Eiger und Mönch hindurch hinauf bis aufs Jungfraujoch. Der Halt an der Station Eismeer darf nicht fehlen und so können wir uns bereits hier von den Verhältnissen überzeugen.

Schreckhorn und Lauteraarhorn von der Station Eismeer gesehen

Strahlender Sonnenschein, aber auch knackige -17° C empfangen uns auf knapp 3500 m auf dem Jungfraujoch. Wir drehen eine kleine Runde in den Touristenmassen und fahren hinauf zur Sphinx. Das Panorama ist überwältigend schön und die Berner Eisriesen präsentieren sich dank Neuschnee im winterlichen Kleid. Schnell möchten wir dem Tourismus entfliehen, so musste ich doch schon die Frage beantworten, was denn das Etwas sei, das um meinen Hals baumelt.

Das letzte Bild aus der Touristen-Hölle, bevor es in die Wildnis geht

Anschließend klettern wir über die Absperrung und befinden uns nach einem kurzen Stollen sogleich im hochalpinen Gelände fernab von gesicherten Wegen. Der Neuschnee der letzten Tage ist deutlich sichtbar, jedoch verschlechtert dieser die ohnehin prekären Verhältnisse am Gletscher in diesem Winter nur noch mehr. Durch den schneearmen Winter und die großen Stürme im Januar und Februar ist die Schneeüberdeckung der Spalten (wie überall im Alpenraum) mangelhaft. Die nun geringfügig zugeschneiten Spalten stellen daher ein fast noch größeres Risiko dar als vor dem Schneefall.

Traumhafter Neuschnee auf dem Jungfraufirn in Richtung Konkordiaplatz

Wir schnallen die Ski an und überlegen noch kurz, den Kranzberg auf dem Weg zum Konkordiaplatz mitzunehmen. Da dieser aber eine unangenehm zu überwindende Randspalte zeigt und wir ohnehin ein gutes Stück Weg vor uns haben, hoffen wir darauf, dass der Schwung uns trotz Neuschnee zum Konkordiaplatz hinunter trägt. Wir beginnen die Abfahrt auf dem Jungfraufirn im Traumpulver und gleiten hinunter. Tatsächlich reicht der Schwung bis zum Konkordiaplatz und so sind die ersten sieben Kilometer der Tour ganz entspannt bewältigt. Wer das erste Mal am Konkordiaplatz steht, dem werden die unfassbaren Dimensionen im Berner Oberland bewusst und auch wir staunen immer wieder, wenn wir uns auf der digitalen Landkarte vergewissern, wie weit die verschiedenen Scharten und Gipfel wirklich entfernt sind. Ski sind hier definitiv das richtige Fortbewegungsmittel.

Äbeni Flue, Gletscherhorn und Rottalhorn vom Konkordiaplatz aus gesehen

Wir fellen bei jetzt höheren Temperaturen an und steigen rund 600 Höhenmeter auf die Grünhornlücke auf. Im Gegensatz zu anderen Seilschaften sind wir angeseilt, denn auch hier hat es Spalten – auch wenn man sie nicht sieht. Gegenüber präsentiert sich hier das erste Mal das Finsteraarhorn in seiner vollen Pracht. Wir staunen, ob des beeindruckenden Bergs und fellen nach einer guten Stunde Anstieg auf dem Joch ab.

Das Finsteraarhorn – frisch verschneit, gesehen von der Grünhornlücke, dieses Gipfelziel würde sich zwei Tage später ausgehen

Jetzt gilt es, die Abfahrtsspur so anzulegen, dass der Schwung möglichst weit über den Walliser Fiescherfirn hinüber in Richtung der Finsteraarhornhütte reicht. Nicht ganz schaffen wir es, den Gletscher zu queren und so heißt es nochmals anfellen und „Langlaufen“. Zum Schluss geht es noch 50 hm hinauf zum Tagesziel, der Finsteraarhornhütte (3048 m). Nach einem ausgiebigem Abendessen fallen wir früh ins Lager. Ganz „oldschool“ benutze ich vorher für fünf Schweizer Franken das Hüttentelefon, um bei Basislager und Meteo-Station (meiner Mama) mir den Wetterbericht und das in dieser Situation sehr wichtige detaillierte Lawinenbulletin abzuholen. Im Berner Oberland ist Handy-Empfang durch die große Abgelegenheit sehr rar gesäht.

Die Aussicht von der Hüttenterrasse: das Gross Wannenhorn (links), das Schönbühlhorn, das Fiescher Gabelhorn und im Vordergrund der Wysnollen
Hütten-Panorama II: das Gross Grünhorn und hinten das Hinter Fiescherhorn

Am nächsten Tag starten wir zu unserem ersten Gipfelziel der mehrtägigen Tour: den Fiescherhörnern. Welches der beiden (oder beide) wir besteigen würden, das wollen wir spontan entscheiden. Aufgrund der noch expositionsabhängig erheblichen Lawinengefahr, entscheiden wir uns für diese Tour, denn das steilere Finsteraarhorn erscheint uns an diesem Tag noch zu gefährlich. Trotzdem ziehen natürlich an einem sonnigen Tag im April viele Seilschaften auch aufs Finsteraarhorn hinauf, was wir nicht so ganz nachvollziehen können.

Das Gipfelziel im ersten Licht des Tages

Da wir die einzige Seilschaft sind, die den weiten Weg von der Finsteraarhornhütte auf die Fiescherhörner an diesem Tag wählt, ist Spurarbeit gefragt. Auf dem Walliser Fiescherfirn kommen wir zunächst schnell voran, da ein solider Harschdeckel uns trägt und wir die 3 km bis zum Ende des Tals dadurch schnell zurücklegen können. Trotz der wenigen Spalten im Talboden ist das Seil bereits dran, denn auch hier gilt: safety first.

Das erste Licht des Tages im Fieschertal
Im hinteren Fieschertal mit dem Routenverlauf vor Augen

Nun folgt der kniffligste Teil der Tour: durch einen steilen Spaltenbruch geht es im weiten Linksbogen hinauf auf das Gletscherplateau unterhalb der Gipfel. Im Aufstieg ist eine besonders sorgfältige Spuranlage gefragt, denn ist zwar durch die südseitige Exposition die Lawinengefahr hier auf „mäßig“ korrigiert worden, doch muss man nicht nur auf die Steilheit des Terrains achten, sondern sich auch vom rechts oben steil aufragenden Fieschergrat fern halten, denn von dort droht Eisschlag. Da wir mit dem ersten Tageslicht aufgebrochen sind, ist alles noch im Schatten und wir kommen durch die fehlende Akklimatisierung zwar langsam, aber doch stetig durch den Bruch hinauf.

Gut sichtbar der Spaltenbruch (rechts)
Mühsame Spurarbeit in heiklem Terrain, welches äußerste Vorsicht gebietet

Zur Linken offenbaren große Spalten eindeutige Tiefblicke, die wir nicht so gerne näher erleben möchten und zur Rechten dürfte die „Landebahn“ der Eisbrocken und Séracs aus dem Fieschergrat liegen. Die Spurarbeit ist anstrengend, so breche ich doch immer fast bis zu den Knien ein und rutsche auch leicht zurück. Entsprechend schweißtreibend ist das Unterfangen, trotz tiefer Temperaturen am Morgen. Wir erreichen das flachere Gelände und genehmigen uns eine erste kurze Pause mit einem halben Riegel.

Am Ende des ersten Aufschwungs im Bruch: glücklicherweise immer noch im Schatten

Ich habe einen Track gespeichert, der uns, aufgrund der durch den Neuschnee nicht mehr vorhandenen Spuren, eine Unterstützung bei der Navigation durch das nun folgende „Labyrinth“ helfen soll. Doch Klimawandel und ein schneearmer Winter haben nach einem Jahr (seit der Track aufgezeichnet wurde) den Gletscher bereits wieder derart verändert, dass die Routenfindung individuell erfolgen muss. Plötzlich stehen wir vor einer Spalte, die so breit und tief wie ein Einfamilienhaus ist und zudem über die gesamte Breite des Tals verläuft. Wir gehen ein paar Meter zurück und versuchen es an einer anderen Stelle. Erst nach der Querung auf die andere Talseite, ergibt sich eine Möglichkeit, die Spalte auf einer schmalen Schneebrücke (50 cm) zu queren, wobei wir äußerst angespannt sind, ob der Tragfähigkeit der Brücke. Später am Tag wäre diese Stelle im Aufstieg ein No-Go, zumindest bei diesen Verhältnissen. Kurzzeitig steht der Abbruch der Unternehmung im Raum, denn wir sind auch weit und breit die einzige Seilschaft und haben so keinerlei Anhaltspunkte, ob andere Tourengänger einen geschickteren Übergang gefunden haben. Wir besprechen uns und ich fluche innerlich, denn die Spurarbeit bis hier hin war sehr anstrengend – wäre sie umsonst gewesen, dann wäre das sehr frustrierend.

Rückblick nach dem ersten Spaltenbruch ins Fieschertal mit Gross Grünhorn
Ganz rechts im Bild unser Übergang auf einer kleinen Schneebrücke, im linken Bilddrittel ist zu sehen, dass wir die Spalte auf der gesamten Breite absuchen mussten
Rückblick aufs Firnsteraarhorn aus ungewohnter Perspektive

Nach der Querung geht es in einen steileren Hang, der uns anschließend auf das Hochplateau führt. Da ich den Faktor Zeit im Kopf habe, entscheiden wir, nur einen der beiden Gipfel in Angriff zu nehmen. Die Wahl fällt statt des Gross Fiescherhorns auf das Hinter Fiescherhorn, weil wir hier fast bis zum Gipfel mit Ski gehen können. Die Querung der heiklen Spalte in der Abfahrt und der stärker werdende Eisschlag weiter unten, lassen keine nachmittagsfüllenden Aktivitäten zu. Die Spurarbeit war enorm anstrengend und genau das ist in der Mittagshitze jetzt zu spüren. Jana ist noch recht frisch und übernimmt kurzzeitig die Spurarbeit, doch diese ist auch weiterhin schwierig, denn es sind bis zum Ende viele Spalten zu queren.

Die letzten Meter auf das Gletscherplateau zwischen den Fiescherhörnern

Wir erreichen das Skidepot des Hinter Fiescherhorns und schnallen die Steigeisen an die Füße. In angenehmen Trittschnee geht es hinauf auf den kurzen Gipfelgrat, der in wenigen Metern zum Gipfel führt. Inzwischen sind wir auch nicht mehr allein, denn von der anderen Seite sind via Fieschersattel von der Mönchsjochhütte oder dem Jungfraujoch weitere Seilschaften heraufgekommen. Über die Steilheit des Anstiegs auf den Fieschersattel bei dieser Lawinenlage muss man nicht viele Worte verlieren – ich war froh, dass wir den Anstieg via Finsteraarhornhütte gewählt haben.

Schreckhorn und Lauteraarhorn grüßen aus dem Osten

Am Gipfel beeindruckt uns das gigantische Panorama der Berner Alpen. Rundherum stehen die prominenten Berge wie Schreckhorn, Lauteraarhorn, Finsteraarhorn und natürlich Eiger, Mönch und Jungfrau bereitwillig für uns als Fotomotiv zur Verfügung, wovon wir regen Gebrauch machen. Der Blick ins 3500 m tiefere Unterland ist außerdem recht imposant. Nach Süden öffnet sich das prominente Panorama der Walliser Alpen mit den Granden der Alpen wie Matterhorn, Weisshorn oder das Monte Rosa Massiv.

Am Gipfel des Hinter Fiescherhorns: Finsteraarhorn und vorne das Gross Grünhorn
Der Felsen hinter uns markiert den höchsten Punkt, der keine besondere „Krönung“ trägt
Aletschhorn, Jungfrau und Mönch

Die eigentliche Gipfelpause folgt dann am Skidepot, denn hier ist es windstill und warm und so genießen wir den sonnigen Tag kurzzeitig in vollen Zügen. Parallel mit einem Bergführer und seinem Gast fahren wir dann ab und auf den ersten flachen Metern können wir kurz durchschnaufen, denn die Höhe ist durchaus spürbar. Im ersten steileren Abschnitt finden wir absolut perfekten Pulver vor und lassen es richtig krachen. Kurz vor Erreichen der Spaltenzone mit der problematischen Spaltenbrücke halten wir an und seilen an.

Nach den ersten Metern Abfahrt schnaufen wir ein paar Mal durch, bevor es angeseilt durch die heikelsten Passagen geht

Die folgende Zickzackfahrt durchs Labyrinth ist keine Sache für jeden Skifahrer. Wir geben uns laut Kommandos und schaffen es, bei hoher Geschwindigkeit – denn diese bringt beim Queren der Spalten Sicherheit – das Seil trotz einiger Schwünge straff zu halten. Die Schneebrücke ist in der Sonne so aufgeweicht, dass ich zwischen meinen beiden Ski hindurch in den gähnenden Abgrund schaue und mich freue, dass die Schwerkraft in diesem Fall gegen die Geschwindigkeit verliert.

Der Nachmittags-Kaffee auf der Hütte möchte hier noch mal ordentlich verdient sein

Nach diesem Abenteuer fahren wir den nun bereits ordentlich aufgeweichten Hang neben dem Spaltenbruch hinunter auf den Fiescherfirn. Hier sehen wir das Werk der Sonne und sind froh, dass wir per Ski die Gefahrenzone unterhalb des Fieschergrats schnell verlassen können. Wo morgens noch unverspurter Pulver war, hat es jetzt deutlich aufgefirnt und überall liegen große Eisbrocken, die aus den Séracs am Fieschergrat ausgebrochen sind. Ein paar schöne Turns im Firn sind auch drin und so nehmen wir allen Schwung mit ins Flachstück. Wie durch ein Wunder, gleiten wir anschließend 3 km ohne einen einzigen Stockschub im fast flachen Gelände hinunter, bevor die üblichen Klimawandel-Höhenmeter (die jedes Jahr mehr werden) zur Finsteraarhornhütte hinauf folgen. Nach so viel Spurarbeit und Nervenkitzel, ist die Walliser Platte und das Mittagsschläfchen aus unserer Sicht mehr als verdient.


Facts zur Tour

  • Mühen: Viel Strecke ab der Finsteraarhornhütte
  • Freuden: Wunderschöne Aussicht auf alle 4000er im Berner Oberland, tolle Skihänge im oberen Teil
  • Risiken: Sehr spaltiger Gletscher, Eisschlag vom Fieschergrat, Spuranlage bei Neuschnee schwierig
  • Aufstieg: 1100hm / ca. 4:30h
  • Abstieg: 1100hm / ca. 1:00h
  • Exposition: Süd, Ost, Nord
  • Schwierigkeit: WS
  • Charakter der Tour: Skihochtour mit spaltenreichem Gletscher
  • Equipment: Skitourenausrüstung, Gletscherausrüstung, Seil
  • Beste Jahreszeit: März – Ende Mai

Fazit

Das Hinter Fiescherhorn ist eine lange und anstrengende Skihochtour, welche große alpinistische Erfahrung erfordert, insbesondere, wenn der Fieschergletscher nicht gespurt ist. Durch die Klimaerwärmung verändern sich die Gletscher auch im Berner Oberland sehr schnell und die Situation muss ständig neu bewertet werden. Der Gipfelaufbau ist in aller Regel gutmütig und es bietet sich ein geräumiger Platz unter dem letzten Aufschwung für ein Skidepot. Hängt man noch das Groß Fiescherhorn dran, so muss man zeitlich effizient sein, um nicht zu spät am Gletscher abzufahren.

2 Gedanken zu „HINTER FIESCHERHORN (4025m)“

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