Skitourenklassiker in der Bernina-Gruppe mit toller Abfahrt und kleinem Schönheitsfehler.
Kurz nach dem Jahreswechsel bin ich mal wieder mit meiner Mama auf Tour. Neue Tourenski (bei ihr) und ein sehr sonniger Tag (für alle) motivieren uns extra, an diesem Donnerstag eine Tour im Bernina-Gebiet zu unternehmen. Aufgrund der bisher dürftigen Schneelage, auch im Engadin, haben wir uns den Piz Minor ausgesucht, welcher durch viel Schatten im Anstieg noch guten Schnee bieten dürfte. Mit der Bahnstation Bernina Diavolezza bietet der Piz Minor außerdem einen sehr hohen Ausgangspunkt. Lediglich die arktisch-tiefen Temperaturen am ersten Hochdruck-Tag nach mehreren Tagen Föhnsturm dürften uns ein bisschen zu schaffen machen.
Gemütlich bringt uns die Rhätische Bahn von unserem Quartier auf den Berninapass, wo wir an der Diavolezza-Seilbahn aussteigen und um 8:30 Uhr anfellen. Zunächst gilt es, den Bach an einer geeigneten Stelle zu queren – viel mehr muss man einen guten Zugang zur einzigen Brücke weit und breit finden. Ist man auf der anderen Seite angekommen, öffnet sich der Weiterweg in das wunderschöne Val da Fain. Vorbei an der Alp Bernina, geht es jetzt im weiten Rechtsbogen, immer auf der linken Seite des Baches haltend, in das wunderschöne und sehr ruhige Hochtal hinein.
Ohne nennenswerten Höhengewinn gehen wir knapp 3km mit nur 200hm positiver Differenz im Schatten. Gerade als die Alp la Stretta in Sicht kommt, biegen wir nach rechts ab. Einige Spuren führen an dieser Stelle hinunter zum Bach und queren diesen, um auf der anderen Seite wieder anzusteigen. Uns erscheint diese Routenwahl sinnvoll und so folgen wir der Spur. Offenbar sind schon früher am Morgen drei Tourengänger vor uns aufgestiegen, welche wir jetzt weiter oben am Hang ausmachen können.
Auf der südlichen Talseite steigen wir über rasch steiler werdende Hänge die erste Stufe hinauf. Jetzt legt sich das Gelände zurück und gibt den Blick in Richtung eines Couloirs frei, welches uns aber breit und nicht allzu steil erscheint. Logisch das Gelände ausnutzend, arbeiten wir uns näher an den Hang heran.
Zu diesem Zeitpunkt zeigt sich das erste Mal die enorme Kälte an diesem Tag. Eine Tageshöchsttemperatur von -16°C am Gipfel und nur minimal höhere Temperaturen im Tal macht die Unternehmung von einer hochwinterlichen zu einer arktischen Skitour. Nach und nach ziehen wir die letzten Schichten an – die dicken Handschuhe sind ohnehin schon ab der Hälfte der Tour über den Fingern. Trotzdem ist die gefühlte Temperatur mit weniger als -20°C an der Grenze der Komfortzone. Ohne nennenswerten Kontakt mit der Sonne geht es weiter aufwärts, zuletzt wieder recht steil in eine Scharte, von der man dann die letzten Meter zum Gipfelaufbau zurücklegt.
Ein Blick zurück verrät uns, dass eine Gruppe Italiener, die hinter uns unterwegs waren, aufgrund der großen Kälte die Segel gestrichen haben und bereits abfellen. Wir sehen, dass es von P2832, an dem wir uns jetzt befinden, nur mehr 200hm bis auf den Gipfel sind und so mobilisieren wir nochmals die letzte Körperwärme. Selten habe ich auf einer Skitour so eisige Finger gehabt und selbst die dicken Hestra-Handschuhe können die Finger nicht mehr warm halten. Mit immer mehr wärmenden Sonnenstrahlen im Gesicht fällt das „Auf-die-Zähne-beißen“ dann doch etwas leichter. Mutter und Sohn kämpfen sich noch voll die Flanke hinauf zum Gipfel und um die Mittagszeit erreichen wir bei eiskaltem Wind den ungeschmückten höchsten Punkt des Piz Minor.
Doch trotz starkem Wind und der eisigen Kälte entschädigt der Gipfel des Piz Minor für alle Mühen. Ein wunderschöner Rundumblick mit einem ungetrübten Panorama in alle Richtungen bietet das Motiv für viele Fotos. Jetzt bin ich froh, dass ich meine Kamera mitgetragen habe, denn diese kann ich im Gegensatz zum Handy auch mit den dicken Handschuhen bedienen. Die Aussicht, insbesondere in Richtung Bernina-Gruppe, ist atemberaubend. Von dieser Perspektive kann man die Eisriesen mit dem höchsten Gipfel der Ostalpen (Piz Bernina, 4048m) nur selten sehen. Aber auch in der anderen Richtung grüßt die Prominenz – Ortler, Königspitze und Cevedale winken aus Südtirol zu uns herüber. Die Handschuhe auszuziehen wäre bei diesen Temperaturen fahrlässig und so fellen wir auch mit dicken Handschuhen ab.
Ein paar (eher viele) Fotos später sind wir dann parat für die Abfahrt. Die ersten Meter geht es über abgefegte Rücken ohne allzu viele skifahrerische Freuden seitlich fahrend abwärts. Doch schon nach kurzer Zeit können die ersten Schwünge in einer schönen Rinne gesetzt werden. Nach kurzer Querung kommen wir auf den langgezogenen Hang, der ins Val da Fain herunter führt. Jetzt beginnt der Spaß! Im besten Pulver des Winters (bisher) schwingen wir einen um den anderen Hang bis zum Bach herunter. Was für ein toller Schnee, den der schattige Nordhang hier konserviert hat!
Am Bach angekommen, müssen ein paar Meter im Gegenanstieg bewältigt werden, bevor es mal mit, mal ohne Stöckeln, langsam das Tal hinaus geht. Landschaftlich traumhaft und inzwischen auch mit Sonne gleiten wir in Richtung Diavolezza-Talstation. Nachdem auch Finger und Zehen wieder aufgetaut sind, schmelzen auch die Eiszapfen in meinem Gesicht so langsam.
Am frühen Nachmittag schwingen wir an der Brücke ab, von wo aus nur noch ein paar Meter auf der Straße zurück zur Bahnstation bewältigt werden müssen.
Fazit
Der Piz Minor ist eine wunderschöne, landschaftlich sehr reizvolle Skitour. Die Lawinenverhältnisse sollten stabil sein, da auch ein paar steilere Stellen passiert werden und die Exposition ab Verlassen des Val da Fains fast nur Nord ist. Im Hochwinter unbedingt dicke Schichten und sehr warme Handschuhe mitnehmen, hier kann es bitterkalt werden. Im Frühjahr dürfte die Tour recht lange gut möglich sein. Der kleine Schönheitsfehler der Tour ist der lange und flache Zustieg, welcher auch beim Abfahren am Ende ein bisschen Stockeinsatz erfordert.