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EIN WINDIGER TAG AM MONTE ROSA

Überschreitung Ludwigshöhe (4342m), Parrotspitze (4436m) und Finale auf der Signalkuppe (4554m)

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Dass der vierte Tag unserer mehrtägigen Durchquerung der Walliser Alpen, auf der sogenannten Spaghetti-Tour, etwas mühsamer sein würde als die Tage zuvor, wussten wir schon bevor wir in die Betten gegangen sind. Nach einer etwas wechselhaften Nacht (Jana im dritten Stockbett, ich im zweiten) auf engem Raum mit netten Italienern, die immer wieder betont haben, dass sie unsere Eltern sein könnten, begeben wir uns in ein etwas chaotisch ablaufendes Frühstück. Gefühlt möchte jeder der erste sein, der vor der Hütte die Steigeisen anlegt und manche lassen das Frühstück gleich ganz ausfallen. Wir lassen uns nicht vom Stress anstecken und frühstücken ganz in Ruhe ein paar Happen, um uns dann um 5:10 Uhr vor der Hütte abmarschbereit zu machen. Über ein paar Drahtstifte im Fels und eine kurze Leiter geht es hinunter auf den Lisgletscher, auf dem wir direkt in Richtung Berg peilen. Nicht ganz alleine sind wir unterwegs, so sind es doch gleich rund ein Dutzend Seilschaften, die in Richtung Monte Rosa Plateau steigen. Noch mehr kommen dazu von der etwas tiefer gelegenen Mantova-Hütte durch die Dunkelheit herauf.

Der Himmel kündigt schon das schlechte Wetter an, doch noch hoffen wir auf den angekündigten Föhn auf der Alpensüdseite. Nach kurzer Zeit müssen wir aber einsehen, dass die fünf angekündigten Stunden mit passabler Sicht am Morgen sich wohl eher auf ein paar Minuten beschränken. 

Kurz unter dem Colle Vincent mit Blick auf das Balmenhorn (links) und das Schwarzhorn (rechts)

Alsbald bricht das Wetter zusammen, gerade als wir geschützt vom Wind am Felsen des Balmenhorns (4167m) zusätzliche Schichten anziehen. Bis hier hin sind wir sehr zügig gegangen und erreichen anschließend bereits um 7:10 Uhr den Fuß des Schwarzhorns, unserem ersten geplanten Gipfel. Nach kurzer Beratschlagung entscheiden wir uns 30m unter dem Gipfel, keinen Versuch in der über 45° steilen Flanke zu wagen, da das Eis blank ist. Durch den Sturm und die fehlende Sicht wäre eine Besteigung des Gipfels außerdem wenig aussichtsreich und so lassen wir es in diesem Fall dabei bewenden. Die Felsen wären wohl alternativ zum Klettern gegangen und Abseilstände konnten wir ausmachen, aber auch das Zeitmanagement sagt an diesem Tag nein.

Die Eisflanke des Schwarzhorns und der Madonna-Statue am höchsten Punkt

Die meisten anderen Seilschaften haben auf dem Monte Rosa Plateau umgekehrt oder sind auf dem direkten Weg in Richtung Capanna Margherita unterwegs, wir möchten jedoch noch zwei weitere Gipfel vorher besteigen. Wir steigen weiter über den Gletscher aufwärts in Richtung Ludwigshöhe. Dieser Berg ist eigentlich ein recht einfacher Eisgipfel, das gilt jedoch für gutes Wetter. Bei schlechtem Wetter gibt es in den Westalpen keine leichten Touren und mittlerweile umgibt uns dichter Nebel. Die Windböen sind inzwischen auch deutlich jenseits der 50 km/h und so ist die gefühlte Temperatur durch den Windchill-Faktor nun deutlich unter -10° C. Wir prüfen das Live Meteo und stellen fest, dass sich an diesen äußeren Bedingungen zunächst nichts ändert. Im Gegensatz zu den sonnigen Tagen zuvor ergänzen Hardshell-Jacke, Fleece, Buff, Mütze, Kapuzen und dicke Handschuhe unsere Ausrüstung. Die Daunenjacken bleiben aber erstmal noch im Rucksack, denn in Bewegung  bleibend ist die Kälte gut auszuhalten.

Im Zustieg zur Ludwigshöhe noch in Sichtweite des Schwarzhorns

Mit ein paar warmen Gedanken und Freude auf den nächsten Viertausender auf der Tour steigen wir auf den Gipfel der Ludwigshöhe (4343m). Wir erreichen den Gipfel um 7:55 Uhr und stellen fest: völlig überraschenderweise haben wir hier keine Aussicht und sind auch recht allein.

Das Gipfelbild auf der Ludwigshöhe zeigt in erster Linie die tiefen Temperaturen und weniger das Panorama

Auf der Rückseite des Gipfelaufbaus geht es steil wieder hinunter in Richtung Gletscher und das letzte Stück müssen wir rückwärts absteigen und zuletzt mit einem beherzten Sprung über den Bergschrund bewältigen. Für diese Passage sichern wir schnell, damit keiner von uns im Gletscher verschwindet. Nach dem Sprung und einer sicheren Landung wechseln wir wieder ans lange Seil und starten den Marsch über den weiter ansteigenden Gletscher.

Eine solide Steigeisentechnik und ein Sprung über den Bergschrund helfen beim Abstieg vom Gipfel auf den Gletscher

Das Wetter verschlechtert sich weiter und wir befinden uns inzwischen im totalen White Out, wir können einander in 18 Meter Entfernung fast nicht mehr erkennen. Wirklich goldwert ist in solchen Situationen natürlich die GPS-Uhr und das GPS-fähige Handy mit dem entsprechenden Kartenmaterial. Über das Piodejoch geht es nun in Richtung Parrotspitze, die wir aber noch nicht erkennen können im dichten Nebel. In früheren Zeiten war eine solche Situation schnell lebensgefährlich, denn orientierungslos auf einem Gletscher zu sein bedeutete fast immer den Verlust der Route.

Totales White Out auf dem Gletscher

Inzwischen kann man natürlich anhand bestehender GPS-Tracks sich orientieren und so finden wir auch ganz ohne Sicht eine gute Linie im Anstieg auf die Parrotspitze. Wir gehen im steiler werdenden Gelände am kurzen Seil und kurze Zeit später stehen wir auf dem Westgrat, welcher über den Gipfel führt und in den Nordgrat mündet. Diese Gratschneide erfordert für ca. 1 Kilometer konzentriertes Gehen, da es auf der rechten Seite über 2000 Meter senkrecht in die Monte Rosa Ostwand hinunter geht. Glücklicherweise können wir an diesem Tag die Ausgesetztheit gar nicht spüren und auch sonst sind unsere Probleme eher der starke Wind und die Kälte. Auszeichnen können sich Janas nigelnagelneue Steigeisen, die jetzt natürlich besten Halt im hart gepressten Firn bieten. Wir treffen auf eine Seilschaft, welche uns entgegen kommt und halten in verschiedenen Sprachen (Französisch, Italienisch und Englisch) einen kurzen Plausch bevor wir dann die letzten Meter zum Gipfel gehen. Um 8:55 Uhr erreichen wir den höchsten Punkt der Parrotspitze (4434m), gleichzeitig der höchste Punkt dieser Tour. Nun schließt auch der Bergführer Andi mit seinen Gästen wieder zu uns auf und wir machen ein paar Gipfelbilder im dichten Nebel.

Ein paar Grad wärmer und schon schauen die Alpinisten wieder etwas optimistischer drein

Nun geht es dem Nordgrat und später einer steilen Firnflanke folgend hinunter ins Seserjoch. Weiter sehr langsam und sehr konzentriert gehend, kommen wir im Joch wieder auf flaches Gletschergelände und wissen, dass dies das Ende der ausgesetzten Passagen an diesem Tag ist. Selbst auf dem Abstieg vom Grat war das GPS wieder sehr hilfreich, denn auch hier gilt: kein Schritt zu weit nach links und noch viel schlimmer nach rechts.

Diese Aufnahme ist einen Tag später entstanden: links die Parrotspitze mit dem scharfen Grat und rechts hinten die Ludwigshöhe

Wir vollenden die Besteigung der Parrotspitze und stellen fest, dass uns auch diese widrigen Bedingungen überhaupt nicht aus der Ruhe bringen konnten. Unser Rhythmus beim Gehen auf einem ausgesetzten Grat ist nun wirklich perfektioniert. Zur Belohnung gönnen wir uns zunächst einen Energy Cake und für die kurzfristige Energiezufuhr gibt es auch noch ein Gel hinterher.

Für einen kurzen Moment bricht die Sonne durch als wir in Richtung Colle Gnifetti ansteigen

Die Bedingungen bessern sich ein wenig, da der Wind etwas nachlässt – vielleicht bilden wir uns das aber auch nur ein. So steigen wir weiter vom Seserjoch in den Colle Gnifetti und von dort im finalen „Summit Push“ hinauf auf die Signalkuppe (4553m).

Geschafft: der dritte Viertausender des Tages ist erreicht!

Der dritte Viertausender des Tages markiert gleichzeitig das heutige Quartier und das direkt auf dem Gipfel des sechsthöchsten Berg der Alpen. Um 10:10 Uhr stehen wir am Gipfel der Signalkuppe (4553m) und gleichzeitig vor der Tür der „Capanna Regina Margherita“, der höchsten Schutzhütte der Alpen. Diese Hütte trotzt das ganze Jahr über Sturm, Schnee und allen anderen äußeren Einflüssen und bietet Bergsteigern Unterschlupf in einer der entlegensten Gegenden der Alpen.

Die Capanna Regina Margherita: ein willkommener Unterschlupf bei widrigen äußeren Bedingungen

Normalerweise wäre an dieser Stelle der Tourenbericht zu Ende, doch diese spezielle Hütte verdient ein paar Worte der Beschreibung. Auf engstem Raum sorgt das kleine Hüttenteam für eine gemütliche Atmosphäre mit einer erstklassigen Küche. Neben talähnlichen Annehmlichkeiten wie Strom (zumindest eine Steckdose für Handys) und WLAN sind auch Pizza und Kaffee hervorragend. Für uns gibt es für die Tour des Tages außerdem ein erstklassiges Dessert als Belohnung.

Dessert auf viereinhalb tausend Meter Höhe: die Küche der Capanna Margherita ist empfehlenswert!

Für uns waren es an diesem Tag 1250 Höhenmeter in unter fünf Stunden und drei Viertauender, welche wir bestiegen haben. Dabei ist uns trotz großer Kälte nie das Lachen vergangen – so muss ein Tag am Berg sein! Frisch angezogen genießen wir in netter Gesellschaft die Annehmlichkeiten des Hüttenlebens, inzwischen sind die Gesichert aus ganz Europa uns bestens bekannt und wir kommen mit einigen Bergfreunden ins Gespräch. Lediglich die große Höhe macht sich bei dem ein oder anderen dann doch bemerkbar, auf dieser Höhe ist perfekte Akklimatisierung einfach Pflicht. Nach einem reichhaltigen Abendessen geht es dann früh ins Lager, denn uns steht nochmal eine weitere Etappe am nächsten Tag bevor.

Hier geht’s zu den vergangenen Artikeln zu dieser Tour:
Tag 1: Auftakt am Breithorn | Tag 2: Über Pollux und Castor | Tag 3: Drei Viertausender an einem Tag


Facts zur Tour

  • Mühen: An sonnigen Tagen sehr frequentiert, Schwarzhorn-Flanke bei Vereisung heikel
  • Freuden: Spektakuläres Panorama, weitestgehend sicheres Terrain und viele Fotopoints
  • Risiken: Im unteren Bereich spaltenreicher Gletscher, hier sollte man die Bedingungen im Blick behalten, Eisschrauben nötig am Schwarzhorn
  • Aufstieg: 1200hm / ca. 4:00h
  • Abstieg: 300hm / ca. 0:30h
  • Exposition: West, Süd
  • Schwierigkeit: Hochtourenbewertung WS
  • Charakter der Tour: Kombinierte Hochtour mit kleiner Steileispassage
  • Equipment: Gletscherausrüstung (unbedingt mehrere Eisschrauben), Seil >40m empfehlenswert zum Abseilen und Abseilgerät
  • Beste Jahreszeit: Juli-September

Fazit

Die Überschreitung der „kleinen“ Monte Rosa Gipfel von der Gnifetti-Hütte her bis zur Signalkuppe ist eine der großen Westalpen-Touren, welche erstklassiges Panorama und spektakuläre Tiefblicke bietet. Bei gutem Wetter lassen sich problemlos Viertausender aneinanderreihen – bei guter Kondition und gutem Wetter könnte man theoretisch noch Vincentpyramide, Balmenhorn und Schwarzhorn besteigen. Da wir auf den ersten beiden bereits am Tag zuvor waren, fielen diese raus. Das Schwarzhorn sollte nicht unterschätzt werden, trotz des kurzen Steilstücks am Gipfel kann bei Blankeis die Stelle heikel sein. Eisschrauben und Abseilgerät sollte man in jedem Fall mitführen. Die Parrotspitze ist in erster Linie eine Grattour, welche konzentriertes Gehen erfordert – das Finale auf die Signalkuppe ist dann eine Stairway to Heaven, auf deren Spitze man mit einem weiteren hohen Gipfel und erstklassiger Küche belohnt wird.

Ein Gedanke zu „EIN WINDIGER TAG AM MONTE ROSA“

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