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ÜBER POLLUX (4092m) UND CASTOR (4223m)

Zwei tolle Viertausender, grandioses Panorama und unfassbares Wetterglück auf dem Zermatter Hauptkamm.

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Nach unserem gemütlichen Tourauftakt am Tag zuvor, verbringen Jana und ich eine entspannte Nacht auf dem Rifugio Guide de Val d’Ayas. Das Hüttenteam versorgt uns mit bestem italienischem Essen, lediglich der hohe Plastikeinsatz ist gewöhnungsbedürftig. Offenbar muss aber selbst das Wasser an diesen entlegenen Ort geflogen werden, so erklärt es sich zumindest ein bisschen, dass wir für Hütten untypischerweise ausschließlich Plastik-Geschirr bekommen.

Um 3:15 Uhr klingelt unser Wecker und wir verlassen als eine der ersten Seilschaften das Lager. Das Frühstück ist wieder recht plastik-lastig, schmeckt aber sehr gut. Zusammen mit anderen Alpinisten machen wir uns gegen 4:00 Uhr abmarschbereit und schnallen im Schein der Stirnlampe nur wenige Meter hinter der Hütte die Eisen an die Füße. Als dritte Seilschaft steigen wir nun in unserer Spur vom Nachmittag zuvor auf dem Vérazgletscher aufwärts. Der klare Sternenhimmel kündigt einen schönen Tag am Berg an und in den letzten Minuten der Nacht erreichen wir den Fuß des Pollux. Die anderen beiden Seilschaften konnten wir inzwischen passieren und wir merken nun so richtig, dass wir perfekt akklimatisiert sind. Die knapp 4000m Meereshöhe sind für uns kaum zu spüren und so entscheiden wir uns, nicht gleich in die Felsen zu gehen, sondern wählen einen kürzeren aber anstrengenderen Anstieg.

Kurz vor Sonnenaufgang auf dem Vérazgletscher am Fuß des Pollux
Auf der Suche nach der perfekten Anstiegslinie in der blauen Stunde

Etwas links des Felsgrats sehen die Bedingungen im westseitig exponierten Gully recht gut aus und noch vor Sonnenaufgang erreichen wir das steile Firnfeld. Auf dem Eis ist guter Trittfirn und so steigen wir zügig hinauf. Die Bedingungen und das Wetter sind hervorragend, denn durch die westliche Exposition ist das Couloir im Schatten. In der Frontalzackentechnik arbeiten wir uns nach oben und dank GPX-Track wählen wir den Ausstieg in die Felsen an der richtigen Stelle. Wir legen die gezackten Freunde ab und befestigen sie am Rucksack, denn jetzt ist spaßige Felskraxelei angesagt.

Morgenstimmung auf der Südseite des Breithorns

Im einfachen Ier- und IIer-Gelände geht es unschwierig in Richtung 4000m-Marke. Um 7:10 Uhr erreichen wir die „richtige“ Kletterstelle. Zwei kurze Seillängen mit IIIer-Kletterei, welche aber durch Eisenketten zusätzlich gesichert ist. So können Zwischensicherungen bequem gelegt werden und auch ohne Standplatzsicherung kann man sich hier per Selbstsicherung einhängen, falls nötig. In unserem Fall steige ich schnell die erste Seillänge vor und hole Jana vom ersten Stand aus nach. Die zweite Seillänge ist recht kurz, aber dafür aussichtsreich und nach kurzer Zeit erreichen wir die Madonna-Statue, welche gleichzeitig das Ende der Kletterei markiert.

Aussichtsreiche Kletterei in der zweiten Seillänge kurz vor dem Ausstieg auf 3900m
Die Madonna-Statue mit Liskamm (links) und Castor (rechts)
Tolle Morgenstimmung am Pollux mit schöner Aussicht auf die fünf Gipfel des Breithorns

Wieder mit Steigeisen an den Schuhen geht es die letzten Meter auf den Gipfel des Pollux (4092m). Wir erreichen den Gipfel dieses schönen Bergs zusammen mit zwei anderen Seilschaften. Eine der beiden Seilschaften hatte wohl eine recht Eiskletter-lastige Variante vom Schwarztor aus versucht, welche aber wohl nicht zu empfehlen sei, das sagen auch die Gesichter der Kameraden, als wir uns am Gipfel treffen.

Die letzten Meter nach dem Ausstieg aus der Kletterei führen unschwierig und zuletzt mit tollem Rundblick auf den Gipfel des Pollux

Das Panorama auf diesem aussichtsreichen Gipfel ist abermals atemberaubend. Wie bereits auf den Breithorn-Gipfeln, haben wir eine grandiose Rundumsicht und erblicken insbesondere den mächtigen Liskamm und im Norden die hohen Gipfel über dem Saastal.

Gigantische Morgenstimmung auf dem Pollux mit Aussicht in Richtung Breithorn, Weisshorn und Mischabel-Massiv
Gipfel-Selfie auf dem Pollux

Nach einigen Fotos steigen wir wieder ab und erreichen nach kurzer Zeit die Madonna-Statue. Von hier aus seilen wir zwei Mal ab – nicht unbedingt nötig, ob der guten Absicherung, aber in diesem Fall für uns einfach entspannter. Beim zweiten Abseiler müssen wir uns kurz um eine Schweizer Seilschaft „herummogeln“, welche sich im Aufstieg befindet. Nach kurzer Wartezeit geht es für uns weiter und wir genießen das zu-Tale-Schweben an perfekt einzurichtenden Abseilständen.

So macht Abseilen Spaß: Zügig geht es für uns hinunter als die meisten anderen Seilschaften noch im Aufstieg sind

Im Folgenden steigen wir seilfrei den Blockgrat weiter ab. Da wir nicht zurück in Richtung Schwarztor möchten, sondern unser zweites Ziel des Tages bereits im Blick haben, wenden wir uns in Richtung Osten. Die mächtige Westflanke des Castors baut sich hier hoch vor uns auf. Mehr als 400 Meter hoch ragt der mächtige Eisriese über dem Zwillingsjoch auf. Die direkte Führe wählend, steigen wir durch brüchigen Schutt in Richtung Gletscher ab. Da wir uns den Umweg um den Wandfuß des Pollux herum sparen möchten, wählen wir diese weglose aber wenig empfehlenswerte Variante. Auf dem Gletscher angekommen, seilen wir wieder an und auch die Steigeisen sind zurück am Fuß.

Die Westflanke des Castors: 400m hoch ragt diese Mauer aus Eis auf und bringt uns ordentlich ins Schwitzen

Wir steigen der Westflanke zu und mit immer weiter aufsteilendem Gelände verlangsamt sich auch unser Tempo stetig. Wir versuchen, in ganz ruhigem, aber vor allem beständigen Tempo Höhenmeter um Höhenmeter zu gewinnen. So langsam spüren wir die Höhe von über 4000m dann doch ein wenig und das steile Eis tut sein Übriges. Im Westalpen-Tempo erreichen wir den letzten Steilaufschwung, bevor wir nach einer kurzen Kraxel-Einlage in steilem Gelände den Grat erreichen. Diese Passage hatte ich mir im Vorfeld als Schlüsselstelle gemerkt, da hier je nach Verhältnissen geschraubt werden muss. Wir haben aber perfekte Bedingungen erwischt und können auf die Eisschrauben verzichten.

Stairway to Heaven: der Gipfelgrat am Castor ist purer Genuss auf Westalpen-Art

Der Gipfelgrat ist dann wahlweise Biancograt- oder Liskamm-Feeling, denn die Spur hat gerade so auf der Gratschneide Platz. Vorsichtig und ganz langsam setzen wir einen Schritt vor den anderen. In diesem Gelände ist Hektik fehl am Platz, denn links und rechts geht es mehr als fünfhundert Meter nahezu senkrecht nach unten. Der Grat ist zuletzt nur noch etwa 50 Zentimeter breit, somit ist vollste Konzentration bei jedem Schritt gefragt. Kurz vor 12 Uhr erreichen wir den Gipfel des Castor (4223m) und haben so bereits den vierten Viertausender unserer Mehrtagestour bestiegen! Neben einer weiteren italienischen Seilschaft sind wir die einzigen Alpinisten am Gipfel und wir sind mächtig stolz, dass wir bis hierhin recht zügig unterwegs sind.

Zweiter Viertausender des Tages: Gipfelglück auf 4225m
Von dieser Seite ist der erste Teil der Liskamm-Traverse gut einsehbar – mächtig bauen sich die beiden Gipfel vor uns auf

Die volle Pracht von Liskamm und dahinter Monte Rosa liegt vor uns und erstmalig überblicken wir auch den westlichen der beiden Arme des mächtigen und wilden Lisgletschers. Am Gipfel ist die Tour jedoch keinesfalls vorbei, denn da wir den Castor überschreiten und auf der anderen Seite absteigen, folgt nun der Abstieg über den Südostgrat. Dieser ist ähnlich ausgesetzt wie der Nordwestgrat, welchen wir im Anstieg herauf geklettert sind. Viele weitere konzentrierte Schritte sind nötig, bis wir den Fuß im Felikjoch auf ebenes Terrain setzen (13:00 Uhr). In dieser absturzgefährdeten Passage sind wir durchgängig am Sprungseil unterwegs, da Sichern hier schlicht nicht möglich wäre.

Auch der Abstieg zum Felikjoch lässt keine Fehler zu, volle Konzentration ist gefragt auf der gesamten Länge des Grats

Wir schauen uns genau den Anstieg vom Felikjoch auf den Liskamm-Westgipfel an, denn auch diese Tour ist immer einen Ausflug ins Wallis wert! Heute ist dieser Gipfel jedoch tageszeitlich nicht mehr realistisch möglich und so wenden wir uns nach Süden und steigen schnellen Schrittes in Richtung Felikgletscher ab. Zunächst durch steiles Gelände, müssen wir nochmals die Haltekraft der Steigeisen bemühen und wir spüren nun die tageszeitliche Erwärmung des Gletschers auf der Südseite deutlich.

Liskamm und westlicher Lisgletscher vom Felikjoch aus gesehen, rechts der Naso del Liskamm, eine Erhebung im Südgrat auf den Liskamm-Ostgipfel

Wir steigen weiter ab und schon bald kommt das Rifugio Quintino Sella al Felik in Sichtweite – unser Quartier für die Nacht. Auf den letzten Metern gehen wir nochmals etwas langsam, denn ich möchte mir anhand des GPX-Tracks noch den Abzweig in Richtung Lisgletscher für den nächsten Morgen einprägen. Nachdem der Punkt markiert ist, steigen wir die letzten Meter ab und wie bereits am Rifugio Guide de Val d’Ayas empfängt uns kurz vor der Hütte ein Wolkenmeer. Dieser Schönheitsfehler im Wetter ist uns doch herzlich egal, denn ein Hochnebelmeer auf 3500m stört uns dieser Tage gar nicht, halten wir uns doch meist darüber auf. Auf knapp 3600m gelegen, empfängt uns die Sella-Hütte mit tollem Essen und einer gemütlichen Sitzecke. So verbringen wir den Nachmittag bei Kuchen und italienischem Espresso auf der Sofaecke. Wir haben ein kleines Lager erwischt, das wir uns nur mit vier weiteren Bergsteigern teilen müssen und so fallen wir nach einem hervorragenden Abendessen gegen 21:00 Uhr müde und zufrieden ins Bett. 

Zur Namensherkunft der Spaghetti-Tour: Wie in diesem Artikel beschrieben, erfolgt auch die zweite Übernachtung dieser Rundtour auf einer italienischen Hütte. Da es wohl häufiger Spaghetti in verschiedenen Varianten auf den Schutzhäusern auf der Aosta-Seite gibt, kam die Tour zu diesem Namen. Auch wir essen auf unserer Tour sehr viel Pasta (jeden Abend als Primi Piatti), aber Spaghetti schaffen es nie auf unseren Teller.

Hier geht es zum ersten Teil unserer mehrtägigen Durchquerung.


Facts zur Tour

  • Mühen: Anstrenger Anstieg auf den Castor, bei hoher Frequentierung längere Wartezeiten am Pollux
  • Freuden: Hochalpines Flair und spektakuläre Tiefblicke
  • Risiken: Spaltenreiche Gletscher, sehr ausgesetzter Grat am Castor über die gesamte Strecke, keine Sicherungsmöglichkeit
  • Aufstieg: 1200hm / ca. 5:30h
  • Abstieg: 1050hm / ca. 2:30h
  • Exposition: West, Süd
  • Schwierigkeit: Hochtourenbewertung ZS-
  • Charakter der Tour: Kombinierte Hochtour mit Klettereinlage und Tanz auf ausgesetztem Grat
  • Equipment: Gletscherausrüstung, Standplatzschlinge, Abseilgerät
  • Beste Jahreszeit: Juli-September

Fazit

Die zweite Etappe dieser Mehrtagestour stellt die erste Prüfung dar. Der Pollux ist zwar ab dem Einstieg in die Felsen bis auf den Gipfel eine eher kürzere Tour, jedoch sollte der dritte Schwierigkeitsgrad im Aufstieg schon beherrscht werden. Höhe und Ausgesetztheit sollten bei der Schwierigkeitsbewertung berücksichtigt werden. Im Abstieg ist Abklettern bis max. II nötig, die Abseilstände für die schwereren Stellen sind gut eingerichtet. Der Castor ist technisch zwar einfach, wird jedoch durch die steile Westflanke insbesondere bei fortschreitender Tageszeit immer anstrengender. Auf dem Gipfelgrat sind Fehler verboten, wer nicht schwindelfrei ist, sollte diesen Berg meiden. Jedoch stellt er eine optimale Vorbereitung auf größere Eisgrate in den Alpen dar, da zwar die Ausgesetztheit groß ist, jedoch man rein zeitlich gesehen weniger lang als auf vergleichbaren Touren im Kopf gefordert ist. Zu- und Abstieg erfolgen über zum Teil spaltenreiche Gletscher, Lagebeurteilung und Spaltenbergungstechniken sind also obligatorisch. Der Castor ist bei Sturm oder schlechtem Wetter sehr heikel.

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