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NADELGRAT 4x4000m

Eine der größten Gratüberschreitung der Alpen über Dirruhorn, Hobärghorn, Stecknadelhorn und Nadelhorn.

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Vier Viertausender an einem Tag, verbunden durch eine perfekte Gratlinie. Das ist der Nadelgrat, eine der prestigeträchtigsten Überschreitungen der Westalpen und in jeder Variante eine hochalpine und ernsthafte Unternehmung. Im Frühsommer ist bei günstigen Verhältnissen auch eine Begehung von der Mischabelhütte via Windjoch, Ulrichshorn, Riedgletscher und der Selle möglich, dann spart man sich einiges an Höhenmetern, Kletterei und Strecke. Diese Option ist im Hitzesommer 2022 jedoch bereits seit Ende Juni nicht mehr sinnvoll möglich. Viel zu wenig Schnee in den Hochlagen und warme Nächte machen diese Begehungsvariante unmöglich – die Selle – ein steiles Couloir vom Riedgletscher auf den Grat hinauf – ist schneefrei. Somit bleibt die „ehrlichste“ und längste Variante des Nadelgrats: eine integrale Begegung von der Bordierhütte über das Galenjoch und über insgesamt vier Viertausender bis auf das Nadelhorn. Welche Dimensionen dieses Unterfangen hat, machen allein die harten Fakten klar: knapp 2000 Höhenmeter im Aufstieg, davon über 1250 hm in Kletterei und 5 km Gratlänge vom Galenjoch über alle Gipfel bis ins Windjoch.

Nachdem Jana und ich zwei Tage zuvor erfolgreich das Zinalrothorn bestiegen hatten, machen wir uns auf den Weg nach Gasenried, dem Ausgangspunkt für den Hüttenzustieg zur Bordierhütte. Nach einem kleinen Mittagessen in einer netten Walliser Gartenwirtschaft, beginnen wir den Hüttenanstieg zum Riedgletscher in Richtung Süden. In traumhafter Kulisse steigen wir der Gletscherzunge des stark zurückgehenden Gletschers entgegen. Die Latschenwälder und die mediterrane Atmosphäre bilden einen starken Kontrast zur weiter oben liegenden Eiswelt rund um den Riedgletscher.

Los geht’s im warmen Zirbenwald in Richtung Bordierhütte

Ganz gemütlich wandern wir an einigen Alpen vorbei, denn wir wollen an diesem Tag keine unnötige Energie verschwenden, wissen wir doch, dass der folgende Tag ein sehr langer und anstrengender werden würde. Auf etwa 2300 m erreichen wir das Moränengelände, wo der Wanderweg in einen alpinen Steig übergeht und sich langsam über die Moräne im Schutt hinauf schlängelt.

Der reißende Gletscherbach des Riedgletschers
Blick hinauf zur Gletscherzunge und etwas weiter oben das Plateau wo der Gletscher zur Bordierhütte gequert wird
Dirruhorn (rechts) und Hobärghorn (hinten) dominieren das Panorama
Auf der Moräne geht es gut markiert hinauf zum Gletscherplateau

Wir passieren den beschilderten Abzweig „zum Grat“, wissend, dass dieser Weg nicht der richtige für den nächsten Tag sein würde. Vielmehr erreichen wir den Abzweig, den wir am nächsten Morgen in der Dunkelheit erwischen müssen, ein paar Minuten später auf 2750 m, als der Weg schon langsam in Blockgelände übergeht. Ab hier hüpfen wir von Felsblock zu Felsblock – unter uns bereits das Eis des Riedgletschers – immer gut beschildert durch die Katzenaugen und Markierungsstangen, welche den Weg in Richtung Bordierhütte weisen.

Oben in der Scharte grüßt die Bordierhütte – der weitere Weg dort hin ist logisch und einsehbar

Auf dem Gletscherplateau angekommen, entscheiden wir, dass wir auch ohne Steigeisen den Gletscher gut queren können. So bleiben die gezackten Freunde im Rucksack und wir gehen auf dem meist ebenen Eis hinüber bis an den östlichen Gletscherrand. Dort weist die perfekte Markierung den Übergang auf die Felsen und wir gehen mit Unterstützung von ein paar Fixseilen und Eisenstiften die glattgeschliffenen Felsen hinauf zur Bordierhütte.

Auf dem Riedgletscher – aper und flach, daher können Steigeisen und Seil im Rucksack bleiben

Dort angekommen, können wir uns vor dem Abendessen sogar noch trocken anziehen und füllen anschließend in der gemütlichen Gaststube bei bester Gesellschaft die Flüssigkeitsspeicher wieder auf. Ein paar Kontakte sind schnell geknüpft und schon wissen wir, wer uns morgen auf unserer Tour begleiten wird.

Die urige Bordierhütte kurz vor dem Abendessen

Sehr früh startet der nächste Tag. Um 2 Uhr gibt es für uns bereits Frühstück und um 2:37 Uhr starten wir vor der Hütte die Uhren. Zunächst gehen wir den Hüttenweg vom Vortag zurück auf den Riedgletscher. Wir sind etwa 10 Minuten hinter einer Schweizer Seilschaft und wiederum 10 Minuten vor der letzten Seilschaft, welche um diese Zeit die Hütte verlassen hat – doch zu dieser später mehr. Problemlos finden wir im Blockgelände am Gletscherrand den Abzweig in Richtung Galenjoch. Der Einstieg in den Steig ist perfekt mit Katzenaugen markiert und so kann man auf den ersten Metern den Weg nicht verfehlen. Sogleich geht es in ansprechendem, hochalpinen Gelände bergauf, die Hände können wir in dieser Passage jedoch noch weglassen. Fortan geht es weglos oder auf schwachen Wegspuren durchs Geröll nach oben, Steinmänner weisen den Weg. Hier ist es jedoch enorm wichtig, immer wieder den Track zu kontrollieren, denn zu leicht könnte man sich hier zu weit nach links oder rechts leiten lassen. Anfänglich ist das Gelände noch nicht so übersichtlich – besonders nicht bei Nacht. Gegen 3:45 Uhr wird die Luft merklich kühler und es zieht eine leicht feuchte Luftschicht herein. Diese Kombination überzieht die Felsen blitzartig mit einer leichten Reifschicht. Höchste Vorsicht ist geboten, jetzt nicht auszurutschen. Sind wir zwar in technisch unschwierigem Terrain, ein Knöchel ist hier jedoch auch schnell verstaucht und das können wir bei einer Tour dieser Dimension gewiss nicht brauchen.

Wir steigen zügig, aber nicht überhastet dem Galenjoch (3303 m) zu. Vom Gletscher bis auf das Joch sind es immerhin rund 600 Höhenmeter und so sind wir recht zufrieden, als die Uhr 1:45 Uhr ab der Hütte (inkl. Abstieg und Querung des Riedgletschers) anzeigt – trotz Wegsuche und Steigen im Licht der Stirnlampe. Meine Marschtabelle, die ich uns erstellt hatte (basierend auf den Führerzeiten des SAC), haben wir somit um 30 Minuten unterboten. Ein Puffer, den wir noch aufbrauchen würden.

Die vor uns gestartete Schweizer Seilschaft ist indes ein gutes Stück weiter vorne auf den Grat geklettert und hat fast zu einer weiteren Seilschaft aufgeschlossen, die bereits um 2 Uhr an der Hütte gestartet war. Zusätzlich beobachten wir noch eine österreichische Seilschaft, welche erst um kurz nach vier Uhr die Hütte verlassen hatte, diese Kameraden sind jedoch in einem anderen Tempo unterwegs und so wissen wir, dass ihnen der späte Start nicht nachteilig werden würde. Fünf Seilschaften also am Nadelgrat – bei einer Tour dieser Dimension ohne Gegenverkehr beim Abstieg in diesem Fall sicher sicher kein Problem. Doch was war mit den Deutschen, die 10 Minuten nach uns gestartet waren? Wir hatten ihre Stirnlampen zuletzt auf dem Geröllfeld auf ca. 3100 m gesehen. Jetzt können wir keine Stirnlampen mehr hinter uns ausmachen. Mit etwas Sorge richte ich meinen Blick in Richtung Chli Dirruhorn, denn bis zur Dämmerung würde noch etwas Zeit vergehen und so würden die beiden in einem Notfall sicher noch etwas auf den Heli warten müssen.

Morgenröte über dem Riedgletscher

Das sollte uns jedoch nicht abhalten und so geht es nach einer ganz kurzen Verschnaufpause schon gleich weiter zum Grat. Die ersten Meter in Richtung Chli Dirruhorn (3889 m) sind noch eher einfach, wobei wir die beiden Seilschaften vor uns schon am Seil gehend beobachten. Bei uns bleibt das Seil für den Moment noch im Rucksack und so kraxeln wir los. Immerhin 550 hm trennen uns vom ersten Gipfel des Tages, etwa zwei Stunden ab dem Galenjoch veranschlagt der SAC hierfür. Schnell merken wir, dass diese Zeitangabe definitiv ohne Wegsuche berechnet wurde. Immer wieder gibt es mehrere Optionen den ein oder anderen Turm zu überklettern oder zu umgehen und ohne direkt vor uns gehende Seilschaften ist die Orientierung in der Dunkelheit herausfordernd. Während es in der Dämmerung immer heller wird, hören wir ein Helikopter-Geräusch und kurze Zeit später kreist die Air Zermatt über dem Geröllfeld, wo wir zuletzt die Stirnlampen der Seilschaft hinter uns gesehen hatten. Wir hoffen das Beste für die beiden und richten unseren Fokus wieder auf unsere eigene Bergtour.

Das Weisshorn im ersten Licht des Tages

Noch im etwas einfacheren Gelände (max. II) erleben wir einen absolut spektakulären Sonnenaufgang. Exakt um 6:30 Uhr und somit genau vier Stunden nach unserem Aufbruch von der Hütte, spitzelt die Sonne zwischen Lagginhorn und Fletschhorn durch und erleuchtet die Szenerie in goldenem Licht. Das Panorama ist atemberaubend und durch die klare Luft ist die Weitsicht beeindruckend.

Sonnenaufgang am Nadelgrat

Trotz des Tageslichts bleibt die Orientierung schwierig. So lassen wir uns etwa 50 hm unterhalb des Gipfels des Chli Dirruhorns von Wegspuren in die Westflanke leiten. Keine schlechte Alternative, so denke ich in diesem Moment, denn die Kletterschwierigkeiten am Grat würde ich in diesem Bereich im oberen III. Grad einstufen. In der Flanke erscheint uns das Gelände etwas einfacher. Wie jedoch meist auf den weniger begangenen Routen, ist auch hier das Gestein recht brüchig. Mittlerweile am Seil, sichern wir eine Passage mit Friend und Schlingen, wo man unterhalb des Gipfels des Chli Dirruhorns artistisch einen Quergang vollziehen muss. Außer einer Leiste zum Stehen und einem Untergriff zum Halten, gibt es kaum Möglichkeiten zum Festhalten und so arbeiten wir uns sorgfältig und langsam hinüber, um keinen Absturz zu riskieren.

An der „Selle“, vorne Dirruhorn, Hobärghorn (verdeckt), hinten Stecknadelhorn und zuhinterst das Nadelhorn – die Länge der Tour wird langsam ersichtlich

Nach dieser Passage sehen wir auch, dass wir endgültig das Chli Dirruhorn links liegen gelassen haben und kurz vor der „Selle“ erreichen wir die Gratschneide. Mit dem verpassten Gipfel können wir leben, denn so haben wir uns auch einen Abseiler auf der Rückseite des Chli Dirruhorns gespart. An der Selle angekommen, verrät ein Blick hinunter in Richtung Riedgletscher: hier ist schon länger kein Alpinist mehr herauf geklettert. Ohne einen einzigen Schneerest präsentiert sich das Couloir. In normalen Jahren wäre zumindest noch eine kleine Schneeauflage dort vorhanden. Als wir uns schon im Aufschwung zum Dirruhorn (4035 m) befinden, wird das Gestein am Grat merklich fester. Die letzten Meter hinauf aufs Dirruhorn sind dann wieder etwas einfachere Kletterei und so erreichen wir um 8:15 Uhr den Gipfel des Dirruhorns.

Blick ins Berner Oberland, kurz vor dem Gipfel des Dirruhorns fotografiert
Am Gipfel des Dirruhorns (4035 m)
Gut erkennbar: unterhalb der Gratschneide klettert es sich etwas leichter in Richtung Dirrujoch

Laut meiner Marschtabelle sind wir nur acht Minuten hinter dem Plan und so sind Jana und ich gut gelaunt, als wir kurz hinter dem Gipfel von der österreichischen Seilschaft überholt werden, die rund anderthalb Stunden nach uns von der Hütte gestartet ist. Dass die beiden in einem anderen Modus sind, zeigt auch die Ausrüstung. Eher wenig Material am Gurt und natürlich seilfrei sind die beiden den Grat recht flott herauf geklettert. Auf unsere Frage, ob sie eine deutsche Seilschaft überholt hätten meinen, sie dass hinter uns keine Menschenseele unterwegs ist. Somit sind die Deutschen hinter uns nicht mehr am Berg und wurden ausgeflogen (im besten Fall). Nun sind wir also die letzte Seilschaft von vieren und machen uns an den Übergang ins Dirrujoch, wobei mir die Tipps von meinem Freund Thomas wieder nützlich werden. Er war den Nadelgrat rund einen Monat vor uns gegangen und hatte mir gesagt, dass man nach dem Dirruhorn am besten in der Flanke und nicht auf dem Grat klettert. Diesen Tipp beherzigen wir und stellen fest, dass wir hier gut vorwärts kommen.

Nicht allzu schwer klettern wir vom Dirruhorn ins Dirrujoch hinunter

In der wärmenden Sonne klettert es sich vom Dirruhorn ganz gut hinunter ins Joch und wir sichern immer wieder ein paar ausgesetztere Stellen. Im Großen und Ganzen ist die Kletterei hier aber dankbar und weniger schwierig.

Routenverlauf und Orientierung sind ab hier klar: über den Felsgrat zum Firngrat und hinauf aufs Hobärghorn

Es ist 9 Uhr als wir uns vom Dirrujoch auf dem zunächst felsigen Grat in Richtung Hobärghorn auf machen. Exakt 300 Höhenmeter müssen erklettert werden und der felsige Grat macht uns zunächst großen Spaß. Weniger spaßig sieht dann der folgende „Firngrat“ aus. Mitte Juli konnte man hier noch ohne Steigeisen im Stapfschnee nach oben gehen, Mitte August schaut an vielen Stellen das blanke Eis heraus. Auch wenn der Schneegrat nicht allzu lang ist, so ist die Absturzgefahr hier doch enorm, denn rechts geht es steil in Richtung Hobärggletscher hinunter. Eine Rutschfahrt, die wir uns heute in jedem Fall ersparen möchten. Somit wählen wir die etwas zeitaufwändigere, aber sicherere Variante und gehen an zwei Eisschrauben gesichert, ganz vorsichtig den Grat hinauf. Kurz vor dem Übergang in den Fels wartet eine sehr blanke Stelle, die den energischen Einsatz der Steigeisen erfordert. Wieder im Felsgelände, beschließen wir, dass die Steigeisen für den Moment an den Füßen bleiben. Zum einen ist der ständige Wechsel sehr zeitaufwändig, zum anderen erscheint mir die folgende Felspassage leichter mit Steigeisen zu klettern, denn immer wieder müssen wir in bröselig-matschigen Gelände Halt suchen. Diese Stellen, die normalerweise vom Schnee bedeckt sind, sind ohne Schnee typischerweise recht brüchig und die spitzen Frontzacken der Steigeisen können hier durchaus helfen.

Matterhorn, Dent d’Hérens, Ober Gabelhorn, Dent Blanche, Zinalrothorn und das mächtige Weisshorn
Kurze Pause vor Beginn des Firngrats in Richtung Hobärghorn

Die jetzt folgende Kletterei würde ich als die schwierigste Passage auf dem Nadelgrat einstufen. Zwar würde eine weitere Herausforderung noch warten, doch hier sind wir oft im oberen III. Grad unterwegs mit nur wenig Möglichkeiten für Absicherung. Wo immer möglich, lege ich einen Friend oder eine Schlinge, sodass wir immer ein bis zwei Zwischensicherungen zwischen uns am Seil haben. Wir klettern ohne Hektik, aber auch nicht allzu langsam und genießen die Wärme am Vormittag. Ohne größere Probleme kommen wir um 11 Uhr auf dem Gipfel des Hobärghorns (4218 m) an. Damit haben wir den zweiten von vier Viertausender geschafft und wissen, dass die meisten Schwierigkeiten und der größere Teil der Tour hinter uns liegen. Immerhin schon mehr als acht Stunden am Weg, gönnen wir uns eine Pause und trinken einen Schluck.

Der zweite Viertausender an diesem grandiosen Tag
Verschnaufpause auf dem Hobärghorn (4218 m), der weitere Gratverlauf bis aufs Stecknadelhorn und weiter hinten aufs Nadelhorn sieht eindrücklich aus

Gegenüber der SAC-Führerzeit haben wir zu diesem Zeitpunkt wenig überraschend etwas mehr als eine Stunde verloren. Diese ist jedoch natürlich ohne Pausen, Wegfindung, Materialhandling, etc. gerechnet und so sind wir zufrieden mit dem bisherigen Verlauf der Tour.

Abstieg vom Gipfel des Hobärghorns in Richtung des gleichnamigen Jochs

Folgend steigen wir vom Gipfel durch loses Geröll auf einem Firngrat ab, welcher nur mit Steigeisen begehbar ist. Beim Nachziehen des Seils löse ich einen Felsbrocken, welchen ich kommen sehe und ihm ausweiche. Leider stößt dieser noch einen zweiten größeren Stein an und der Stein mit der Größe eines Basketballs wird unsanft von meinem Schienbein gebremst. Glücklicherweise hält meine Hose und so habe ich zwar eine blutende Wunde am Schienbein, es ist aber kein Dreck hinein gekommen. An diesem Punkt ist Stehenbleiben allerdings keine gute Option und so steigen wir noch bis ins Hobärgjoch ab. Auch hier hat die Sommerhitze dem Schnee zugesetzt. Wo einen Monat vorher noch eine bequeme Spur durch den Schnee führte, mussten wir schon aufgehenden Spalten (am Grat!) ausweichen. Wir erreichen das Joch ein paar Minuten später und am Übergang von Schnee in Fels setze ich mich hin und krame das Erste-Hilfe-Päckchen aus dem Rucksack. Ein paar Minuten später ist das Schienbein verbunden und die Wunde versorgt. Schmerzen habe ich nur wenig, denn der Körper versteht auf 4142 m durchaus recht genau, dass jetzt keine Zeit für längere Pausen ist.

Abstieg vom Hobärghorn: kurz im Fels, anschließend in mehr oder weniger angenehmem Terrain

Trotzdem hat die ganze Aktion inklusive einer Essenspause rund 45 Minuten gekostet und so kraxeln wir gegen 12:20 Uhr weiter in Richtung Stecknadelhorn. Der nun folgende Grataufschwung hinauf auf den Gipfel wird in vielen Beschreibungen als die schwierigste Kletterei am Nadelgrat ausgewiesen. Für mich stellt diese Stelle aber weitaus weniger Herausforderung dar als der Aufschwung aufs Hobärghorn – das mag aber verhältnisbedingt sein oder generell eine subjektive Wahrnehmung. Die Ausgesetztheit ist zwar enorm und die Sicherungsmöglichkeiten nicht allzu üppig – der Fels ist jedoch recht fest und so kommen wir am laufenden Seil gut hinauf auf den Gipfel. Von oben gibt es gute Sicherungsmöglichkeiten und so kann ich Jana die letzten 15 Meter, die mit ein paar netten Kletterzügen gespickt sind, herauf sichern.

Steil und ausgesetzt, dafür in tollem Fels, geht es hinauf aufs Stecknadelhorn

Auf dem Stecknadelhorn angekommen, erinnern wir uns an den magischen Moment zwei Jahre zuvor zurück – denn hier hatte ich Jana einen Heiratsantrag gemacht – mittlerweile klettern wir als verheiratetes Paar am Seil. Welch ein tolles Gefühl, kurz nach der Hochzeit an diesen besonderen Ort zurückzukehren.

Stecknadelhorn 2022
Stecknadelhorn 2020 (Foto: Thomas Herdieckerhoff)
Blick auf die Normalroute des Doms, den wir im Jahr zuvor erfolgreich besteigen durften

12:40 Uhr zeigt inzwischen die Uhr – eine gute Zeit, wissen wir doch, dass wir ab hier die Route gut kennen und die Schwierigkeiten hinter uns liegen. Zumindest unter normalen Verhältnissen. Bis hierhin hätte ich die Verhältnisse – abgesehen vom vereisten Schneegrat zum Hobärghorn – als „gut“ bezeichnet, doch jetzt sollte der Hitzesommer und seine Folgen uns zu schaffen machen.

Rückblick auf Hobärghorn und Dirruhorn

Deutlich mehr Zeit als geplant, brauchen wir bis auf den breiten Schneegrat im Stecknadeljoch unten. Erst um 13:45 Uhr erreichen wir das Ende des Schneegrats. Hier könnte man auch die Nadelhorn-Nordflanke traversieren. Eine Querung, die wir bereits vor zwei Jahren gemacht hatten. Damals mit eher viel Schnee recht heikel, dieses Jahr mit eisigen Verhältnissen ebenfalls nicht empfehlenswert. Was sind denn optimale Verhältnisse für diese Querung? Wohl Trittfirn früh im Jahr – aber das ist schon ein paar Wochen her. Generell ist dieser Abschnitt kaum zu sichern und wir haben beide kein gutes Gefühl mit der Querung. So bleiben wir am Grat und beschließen, den Nadelgrat auch „integral“ zu vollenden, auch wenn das deutlich länger dauern dürfte.

Am Firngrat marschieren wir in Richtung Nadelhorn
Auf dem Weg in Richtung Nadelhorn, hier noch in unschwierigem Gelände

Schon der letzte Aufschwung des Firngrats ist derart vereist, dass wir trotz Eisschrauben diese Variante nicht riskieren wollen. Richtung Süden bietet sich die Möglichkeit, im Fels zu umgehen und so klettern wir mit Steigeisen südseitig im Fels weiter. Wir können einen markanten Felsblock ausmachen, der mir noch im Gedächtnis ist. Diesen haben wir damals in umgekehrter Richtung, vom Nadelhorn kommend, überklettert. Jetzt sind wir in entgegengesetzter Richtung am Grat unterwegs. Wir erklettern den Block von hinten und ohne wirklich vertrauenswürdige Zwischensicherungen gelegt zu haben, erreiche ich den höchsten Punkt, wo es einige Schlingen zur Sicherung gibt.

Kurze Verschnaufpause nach einer abenteuerlichen Kletterei, die so normalerweise nicht vorgesehen ist; vor uns das Nadelhorn
In bestem Fels vom großen Felsblock hinunter in eine Scharte

Wir sind recht froh, denn jetzt sieht der weitere Weg etwas einfacher aus. Dieses Ausweichen in die Nadelhorn-Südwand, das bei normalen Verhältnissen nicht nötig ist, würde ich mit einem unteren IVer bewerten. Weiter geht es im Fels, jetzt wieder mit mehr Sicherungsmöglichkeiten, bevor wir zu aller letzt nochmal eine Eisschraube setzen, als wir ein letztes kleines, aber steiles Eisfeld in Richtung Nadelhorn-Normalweg queren. Dort angekommen, fühle ich etwas Erleichterung.

Der Nadelhorn-Normalweg, welchen wir absteigen werden, ist in der Regel einfach zu begehen und ich kenne ihn bereits aus zwei erfolgreichen Nadelhorn-Besteigungen mit Jana und als Jugendlicher mit meiner Mama. Doch wäre der Nadelgrat nicht vollendet, wenn wir nicht noch den Gipfel des Nadelhorns mitnehmen würden. So gehen wir die letzten Meter hinauf zum höchsten Punkt des Nadelgrats (4327 m), welchen wir erst um 15 Uhr erreichen. Über zwei Stunden haben wir vom Stecknadelhorn gebraucht, bei normalen Verhältnissen wäre hier sicher eine Stunde einzusparen gewesen.

Geschafft! Der Nadelgrat Integral liegt hinter uns – 4 x 4000 m an einem Tag

Sei’s drum denken wir uns und auch wenn der Nebel uns einhüllt, so wissen wir doch, dass es ab sofort nur noch abwärts in Richtung Windjoch, Hohbalmgletscher und schlussendlich zur Mischabelhütte geht.

Von meinen Freunden Hanna und Jonas weiß ich, dass die Verhältnisse am Nadelhorn-Normalweg nicht gut sind. Was normal ein bequem zu gehender Firngrat ist, entpuppt sich im Abstieg als vereistes Abenteuer. Phasenweise ist es recht steil und wir müssen präzise treten, damit die Steigeisen auf dem harten Untergrund genug Halt finden. Drei Mal queren wir in die felsige Ostwand, weil die Felsen meterhoch aus dem Grat herausragen – auch das ist mir neu. Dort finden sich schon einige Spuren und so ist die Wegfindung logisch. Konzentriert sind wir zwar noch, allerdings merken wir langsam, dass wir schon über 13 Stunden unterwegs sind und so tut ein Schluck Wasser und ein Riegel am Windjoch dann ganz gut. Zu diesem Zeitpunkt haben wir beide nicht mehr als 400 ml Wasser getrunken und pro Person zwei Riegel gegessen. Höchste Zeit also, etwas Energie nachzuführen,

Der Hohbalmgletscher in miserablem Zustand

Vom Windjoch führt eine gute Spur den hier noch nicht ganz aperen Gletscher hinunter. Auch hier sind die Verhältnisse „speziell“, denn normal steigt man hier einfach im Firn ab. Heikel wird es dann kurz vor dem Bergschrund, denn der Gletscher ist hier schon aper, dreckig und steil. Ohne wirkliche Sicherungsmöglichkeiten arbeiten wir uns durch die Spaltenzone und überqueren etwas abenteuerlich rückwärts abkletternd den Bergschrund hinunter ins Gletscherbecken.

Blick zurück ins Windjoch – normalerweise ein unschwieriger Weg über den schneebedeckten Gletscher. Normalerweise…

Dort angekommen, gehen wir wieder am langen Strick und wissen, dass jetzt endgültig die Schwierigkeiten hinter uns liegen. Trotzdem eilen wir zügigen Schrittes über den Gletscher und erreichen kurz vor 18 Uhr die Felsinsel am Schwarzhorn. Von hier sind es nur knappe 30 Minuten in einfachem Gelände hinunter zur Mischabelhütte (3336 m). Wir erreichen die Hütte nach 13:50h reiner Gehzeit und sind recht froh, dass wir hier eine Übernachtung gebucht haben. Ein Abstieg nach Saas-Fee wäre noch möglich, aber der Hunger ist doch so groß, dass wir das Abendmenü, das uns postwendend serviert wird, gerne in Anspruch nehmen.

Abendstimmung um die Mischabelhütte

Ebenfalls groß ist der Durst und die Erschöpfung, sodass wir nach ein paar Litern Flüssigkeit sehr früh in die Betten fallen – im Wissen, dass wir eine große Westalpen-Tour erfolgreich gemeistert haben. Am folgenden Tag schlafen wir für Hüttenverhältnisse sehr lang (7 Uhr) und nach einem gemütlichen Frühstück treten wir um 8:30 Uhr vor die Hütte, wo uns ein wolkenverhangener Himmel empfängt. Der Abstieg nach Saas-Fee geht uns flott von den Füßen und nach 1:35 h stehen wir bereits am Ortseingang. Eine Stärkung im Coop später, machen wir uns auf den Weg zum Busterminal und auf den Heimweg zu unserem Campingbus, der uns in Randa empfängt. Nur wenige Tage nach dem Zinalrothorn unsere nächste große Tour, welche wir als Seilschaft erfolgreich geschafft haben. Unendlich stolz bin ich auf Jana, die in sehr kurzer Zeit sehr einen großen Sprung in den alpinistischen Schwierigkeitsgraden, speziell im Klettern in großer Höhe gemacht hat.


Hinweis zu Verhältnissen

In diesem Artikel ist mehrfach von schlechteren Verhältnissen als üblich die Rede. Eine kombinierte Eis- und Klettertour dieser Dimension hat nie in Gänze optimale Verhältnisse, dies nur als Hinweis. Durch den Klimawandel sind die Zeitfenster für eine solche Tour oft kleiner als früher und es ist mehr Vorbereitung nötig. Wir empfanden die Verhältnisse als nicht zu anspruchsvoll, da zwar die Eispassagen zwar teilweise heikel waren, jedoch die Kletterei durch den warmen Sommer fast gänzlich ohne Steigeisen möglich war und wir oft sogar die Handschuhe in der Wärme ausziehen konnten.


Marschtabelle Nadelgrat Integral

Da weder im SAC-Gebietsführer, noch in anderen qualifizierten Tourenführern der Nadelgrat Integral in allen Bestandteilen mit Zeitangaben an einem Stück beschrieben ist, haben wir uns im Vorfeld der Tour die Mühe gemacht und alle Teilabschnitte zu einer Tour zusammengestückelt. Unten stehend die Marschtabelle basierend auf den Zeiten des SAC (ohne Pausen, Wegfindung, Materialhandling, Fotos, etc.).

OrtSchwierigkeitZeitZeit kum.AufstiegAufstieg kum.
Bordierhütte
(2886 m)
Zustieg: T4+
Start Nadelgrat
4:30 h
0:00 h
4:30 h
0:00 h
1240 hm
0 hm
1240 hm
0 hm
Galenjoch
(3303 m)
T4-T52:15 h2:15 h580 hm580 hm
Chli Dirruhorn
(3889 m)
meist II,
Stellen III
2:00 h4:15 h650 hm1230 hm
Selle
(3858 m)
III0:15 h4:30 h1230 hm
Dirruhorn
(4035 m)
III1:00 h5:30 h200 hm1430 hm
Dirrujoch
(3911 m)
II0:15 h5:45 h1430 hm
Hobärghorn
(4218 m)
III+1:15 h7:00 h330 hm1760 hm
Hobärgjoch
(4142 m)
Stellen II0:15 h7:15 h1760 hm
Stecknadelhorn
(4240 m)
III+0:30 h7:45 h100 hm1860 hm
Stecknadeljoch
(4213 m)
Stellen II0:15 h8:00 h1860 hm
Nadelhorn
(4327 m)
III (via Grat)1:00 h9:00 h130 hm1990 hm
Mischabelhütte
(3336 m)
WS2:00 h11:00 h1990 hm
Die harten Fakten des Nadelgrats
Anmerkungen:
  • Aufstiegs-Höhenmeter sind inkl. kleinen Gegenanstiegen beim Überklettern von Türmen am Grat gerechnet
  • 15 Minuten jeweils vom Gipfel in das nächste Joch sind aus unserer Sicht nur mit sehr wenig Sicherungseinsatz zu schaffen
  • 2 Stunden vom Galenjoch aufs Chli Dirruhorn aus unserer Sicht aufgrund schwieriger Wegfindung recht ambitioniert

Fazit

Der Nadelgrat ist eine ernsthafte und hochalpine Unternehmung. Die größten Schwierigkeiten sind die anhaltenden Kletterschwierigkeiten im III. Grad, die durchaus vorhandene Ausgesetztheit (wenn auch nicht so sehr wie auf anderen Touren, wie z.B. dem Zinalrothorn) und die große Höhe – man befindet sich mindestens sechs Stunden über 4000 m. Bei optimalen Verhältnissen (welche wir im zweiten Teil nicht hatten), ist die Tour bei frühem Aufbruch von der Bordierhütte gut zu schaffen, erstklassige Kondition und schnelles Vorankommen im Klettergelände vorausgesetzt. Wer zu viel sichert, verliert zu viel Zeit, daher haben wir weitestgehend am laufenden Seil gesichert und sind die wenigen schwierigen Stellen von Stand zu Stand gegangen. Rund 2000 Höhenmeter im Aufstieg, davon ca. 1250 hm kletternd und einiges davon über 4000 m Meereshöhe sind eine große alpinistische Herausforderung. Es gibt unterwegs keine sinnvolle Ausstiegsmöglichkeit, denn der Abstieg auf den Hobärggletscher ist nicht wirklich empfehlenswert. Ab dem Hobärghorn macht eine Umkehr keinen Sinn mehr. Unterwegs gibt es kein Wasser, daher muss man mit Flüssigkeit und Essen gut haushalten.


Facts zur Tour

Von der Bordierhütte zur Mischabelhütte, Zeitangaben nicht anhand SAC, sondern eigene Gehzeiten

  • Mühen: Sehr lange Tour, unter 11 Stunden schwer machbar, lange Zeit über 4000 m
  • Freuden: Eine der aussichtsreichsten und spektakulärsten Grattouren der Alpen
  • Risiken: Viele Stellen nicht oder nur schwer absicherbar, kein Rückzug möglich
  • Aufstieg: 2000 hm / ca. 10:00h
  • Abstieg: 1550 hm / ca. 4:00h
  • Exposition: alle
  • Schwierigkeit: ZS / III+
  • Charakter der Tour: Gratüberschreitung
  • Equipment: Gletscherausrüstung, 30m Seil, Friend (.75), Schlingen
  • Beste Jahreszeit: Juli-September

Ein Gedanke zu „NADELGRAT 4x4000m“

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